Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
denke, es gibt eine ganze Menge, was wir über die Familie der Habsburger und ihre Schwierigkeiten nicht wissen. Hattest du etwa mit dem Selbstmord in Mayerling gerechnet?«
Überrascht und ärgerlich gab Jack zurück: »Natürlich nicht. Das hat niemand getan.«
»Aber im Rückblick lässt sich erkennen, dass man das hätte voraussehen müssen«, gab Pitt zu bedenken. »Die Tragödie war unausweichlich.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Jack und trat näher auf ihn zu.
Pitt lächelte. »Es gehört zu meinen Aufgaben, bestimmte Dinge zu wissen. Bedauerlicherweise waren mir die näheren Umstände damals nicht bekannt und möglicherweise auch Narraway nicht. Falls aber doch, hat niemand auf ihn gehört.«
Jack zuckte zusammen, und sein Blick wurde härter. »Ich werde mich bei Seiner Lordschaft erkundigen, halte das Ganze aber für reine Panikmache. Ich fürchte, auch er wird das so sehen. Es gibt nicht den geringsten Anlass, anzunehmen, jemand könnte Alois von Habsburg ermorden wollen. Der Mann ist ein harmloses und wie gesagt völlig unbedeutendes Mitglied der österreichischen Herrscherfamilie, einer von Dutzenden, ganz wie bei uns.« Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und verließ den Raum.
Diesmal brauchte Pitt keine fünf Minuten zu warten, bis Jack mit angespanntem Gesicht zurückkehrte. »Lord Tregarron ist bereit, dich zu empfangen, kann dir aber nur wenige Minuten widmen.« Er hielt Pitt die Tür auf. »Auf ihn wartet eine Besprechung mit unserem Botschafter in Polen.«
»Danke«, sagte Pitt, trat auf den Gang hinaus und ging in die Richtung voraus, die ihm Jack gewiesen hatte.
Lord Tregarron begrüßte ihn mit der gebotenen Höflichkeit, aber erkennbar zurückhaltend. Während sich Jack in den Hintergrund zurückzog, sah der Staatssekretär Pitt an und begann: »Radley hat mir gesagt, dass nach Evan Blantyres Ansicht Grund zu der Annahme besteht, jemand könne Herzog Alois von Habsburg bei seinem bevorstehenden Besuch in London nach dem Leben trachten.« Er sprach so rasch, dass Pitt kein Wort hätte einwerfen können. »Zwar dürfen Sie das vermutlich nicht übergehen, doch scheint mir offensichtlich, dass jemand Sie damit von wichtigeren und dringenderen Aufgaben abzuhalten versucht. Herzog Alois ist, wie Ihnen Radley mitgeteilt hat, ein zwar sympathischer, aber zugleich auch harmloser und völlig unbedeutender junger Mann. Es wäre ganz und gar sinnlos, wenn jemand seine Zeit damit vergeudete, ihm Schaden zuzufügen, noch dazu auf komplizierte Weise im Ausland, von wo aus ein Entkommen weit schwieriger zu bewerkstelligen wäre als innerhalb der Grenzen der Donaumonarchie.«
Er schüttelte verärgert den Kopf. »Wir können der österreichischen Regierung gegenüber unter keinen Umständen erklären, wir seien nicht imstande, ihn in angemessener Weise zu schützen und seine Sicherheit in der Hauptstadt unseres eigenen Reiches zu gewährleisten. Ein solches Eingeständnis würde man mit Recht für ungeheuerlich halten und darin eine Zurückweisung sehen. Sollte der Staatsschutz Ihrer Ansicht nach der Sache nicht gewachsen sein, werde ich gern den Innenminister bitten, sie zu übernehmen. Ihm steht, wie Sie wissen, die gesamte Polizeimacht unseres Landes zu Gebote.« Mit einem eisigen Blick fügte er hinzu: »Am besten hören Sie sich an, was Narraway von der Sache hält. Ich bin sicher, dass er Ihnen seinen Rat nicht versagen wird.«
Pitt war so aufgebracht, dass ihm nichts einfiel, was er zu sagen gewagt hätte. Seine Hände zitterten. Er spürte, wie seine Wangen vor Scham brannten. Ihm war klar, dass Jack den Blick auf den Boden gerichtet hielt, weil es ihm zu peinlich gewesen wäre, ihn anzusehen.
Mit den Worten »Guten Tag, Mr. Pitt« beendete Tregarron das kurze Gespräch knapp.
»Guten Tag, Sir«, gab Pitt zurück und machte auf dem Absatz kehrt, um zu gehen. Er sah Jack nicht an, als er den Raum verließ, und er spürte nicht einmal den Regen, als er auf die Straße hinaustrat.
Als er an jenem Abend sein Haus betrat, kam ihm das wie eine freundliche Umarmung vor, noch bevor ihm Charlotte an der Tür zur Küche entgegenkam, aus der es verheißungsvoll duftete. Sie sah ihn lange aufmerksam an und führte ihn dann ins Wohnzimmer mit dem wärmenden Feuer. Die Gaslampen waren bereits angezündet und brannten auf kleiner Flamme. Den Luxus, den Raum ständig zu heizen, konnten sie sich seit seiner Beförderung leisten, weil das Geld jetzt für mehr Holz und Kohlen reichte.
»Was hast
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