Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
du?«, fragte sie, sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Mit der Frage »Wieso soll ich mich nicht in die Küche setzen?«, wich er einer Antwort aus.
»Thomas! Minnie Maude ist zwar nicht Gracie, aber sie hat auch Augen im Kopf. Du bist der Hausherr, und sie achtet auf jede deiner Bewegungen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist, ob du einen guten oder einen schlechten Tag hattest und ob sie etwas für dich tun kann. Sie ist jetzt hier zu Hause, und daher ist ihr das sehr wichtig.«
Pitt atmete langsam aus, womit ein Teil seines Zorns verflog. Voll Verlegenheit begriff er, dass er nicht darauf geachtet hatte, wie sich seine Stimmung auf andere auswirkte. Ihm als jemandem, der selbst aus der dienenden Klasse stammte, hätte klar sein müssen, was ihm Charlotte da vorhielt. Er fühlte sich mit einem Schlag in seine Kindheit zurückversetzt und sah seine Mutter in der Küche des Herrenhauses vor sich, erinnerte sich an den Ausdruck ihres Gesichts, ihre plötzliche Besorgnis, wenn Sir Arthur schlechte Laune hatte, was sehr selten vorkam, oder es ihm nicht gut ging.
»Ich war heute bei Lord Tregarron«, sagte er. »Zuerst hat er natürlich wieder Jack vorgeschickt. Er hat mir ohne Umschweife verdeutlicht, dass ich seiner Ansicht nach Panikmache betreibe, womit er mir zweifellos zu verstehen geben wollte, dass ich meiner Aufgabe nicht gewachsen bin«, sagte er voll Bitterkeit.
Sie dachte einen Augenblick lang darüber nach. »Das ist ausgesprochen ungehörig«, sagte sie schließlich. »Ich frage mich, was der Grund dafür sein könnte, dass er sich zu einem solchen Verhalten hat hinreißen lassen.«
»Willst du damit andeuten, dass ich mir das selbst zuzuschreiben habe, weil ich ihm gegenüber unhöflich war?«, fragte er mit dem Anflug eines Lächelns. Obwohl ihm bewusst war, dass er damit einen Keil zwischen sie und ihre Schwester Emily trieb, konnte er sich diese Spitze nicht verkneifen. Er fühlte sich schrecklich verletzlich. »Das war ich aber in keiner Weise. Übrigens habe ich Tregarron mitgeteilt, dass meine Informationen von Evan Blantyre stammen. Eine bessere Quelle kann es gar nicht geben.«
»Vielleicht liegt da der Hund begraben«, sagte sie nachdenklich. »Bist du denn sicher, dass du mit deinen Vermutungen recht hast, Thomas?«
»Nein«, gab er zu. »Ich weiß aber, welchen Preis wir zu zahlen haben, falls sich zeigt, dass ich recht hatte und wir nichts unternommen haben.«
KAPITEL 4
Nach einer Woche machte Lady Vespasia erneut einen Besuch bei Serafina. Zwar war der Tag heiter, aber überraschend kalt, und so war sie froh, ins Haus eintreten zu können. Ihr fiel auf, dass darin eine Atmosphäre der Leere herrschte. Daran änderte auch eine Vase mit zwar sorgfältig, aber einfallslos arrangierten Blumen auf dem Tisch im Vestibül nichts. Man hätte glauben können, wer auch immer sie dorthin gestellt hatte, wollte sich auf keinen Fall den Vorwurf der Originalität zuziehen. Obwohl alle Bilder wie mit dem Lineal ausgerichtet an der Wand hingen und man nirgendwo auch nur das kleinste Stäubchen sah, machte das Ganze den Eindruck, als sei die Herrin des Hauses nicht anwesend. Nirgendwo sah man kleine Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs: weder Handschuhe noch Tücher, keine Straßenschuhe auf den Holzleisten unter dem Garderobenständer und auch keinen Gehstock mit Silber- oder Elfenbeinknauf.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Nerissa Freemarsh in dem kühlen, in Grün gehaltenen Empfangszimmer auftauchte, in das der Lakai die Besucherin geführt hatte. Sie schloss die Tür so leise hinter sich, dass Lady Vespasia ganz verblüfft war, als sie sie mit einem Mal vor sich sah.
»Guten Morgen, Lady Vespasia. Es ist überaus freundlich von Ihnen, meine Tante noch einmal zu besuchen«, begann sie. Auf ihrem nicht weiter bemerkenswerten blassen Gesicht lag Müdigkeit. Trotz einem in hellen Tönen gehaltenen Halstuch verstärkte ihr schlichtes dunkles Kleid diesen Eindruck noch.
Vespasia meinte in diesen Worten eine leichte Herablassung zu hören, als sei der Besuch bei einer alten Dame eher ein Akt der Nächstenliebe als der Freundschaft.
»Es hat nicht das Geringste mit Freundlichkeit zu tun, Miss Freemarsh«, sagte sie kühl. »Ihre Großtante und ich sind mehr als lediglich gute Bekannte. Wir haben Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Zeiten wunderbarer Hoffnungen und großer Gefahren wie auch an Freunde, die wir nie wiedersehen werden, und es gibt so gut wie keine weiteren Menschen
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