Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
töricht wirken.
Serafina sah sie hoffnungsvoll wartend an.
»Wie geht es dir?«, erkundigte sich Vespasia. Zwar fand sie diese Eröffnung nichtssagend, doch was hätte sie sonst sagen sollen?
»Die Beine tun mir weh«, gab Serafina mit betrübtem Achselzucken zurück. »Aber damit muss man rechnen, wenn man sich die Knochen gebrochen hat. Da braucht man sich nicht weiter zu wundern.«
Mit einem Mal war Vespasia beunruhigt. War es möglich, dass sich Serafina tatsächlich etwas gebrochen hatte? War sie möglicherweise gestürzt? Im Alter brachen die Knochen leicht.
»Das tut mir leid«, sagte sie aufrichtig. »Ich hoffe, der Arzt war da und hat getan, was nötig ist?«
»Natürlich«, gab Serafina zurück. »Das Bein war wochenlang geschient. Wirklich unglaublich lästig. Schließlich kann ich mit Schienen nicht reiten.«
Vespasias Mut sank. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie, als handele es sich um eine völlig normale Äußerung. »Und hast du nach wie vor Schmerzen?«
Serafina sah sie verständnislos an. »Was meinst du?«
Vespasia blickte zu Miss Tucker hinüber, die kaum wahrnehmbar den Kopf schüttelte.
Vespasia sah erneut zu Serafina hin und bemühte sich, etwas vernünftig Klingendes zu sagen. Sie wusste, dass Adriana Blantyre gekommen war, sicherlich, um Serafina zu besuchen. Oder ob ihr Besuch womöglich Nerissa galt? Der Altersunterschied zwischen den beiden war nicht besonders groß, vielleicht sechs oder sieben Jahre – aber gesellschaftlich lagen Welten zwischen ihnen. Adriana war die Gattin eines wohlhabenden, kultivierten Mannes in hoher Position, während Nerissa eine einfache Frau ohne gesellschaftliche Position und weit über das übliche Heiratsalter hinaus war. Vespasia ertappte sich dabei, wie sie auf Schritte lauschte, und rechnete damit, dass jeden Augenblick jemand hereinkommen würde. Da Nerissa wusste, wie fern von der Wirklichkeit Serafina gerade jetzt war, würde sie hoffentlich Adriana für den Besuch danken und ihr empfehlen, ein anderes Mal wiederzukommen, oder nicht?
Sie wandte sich an Miss Tucker. »Vielleicht könnten Sie Miss Freemarsh sagen, dass es besser wäre, wenn Mrs. Blantyre zu einem günstigeren Zeitpunkt noch einmal käme?«
Gerade als Miss Tucker darauf antworten wollte, klopfte es an der Tür. Im nächsten Augenblick trat Adriana Blantyre ein. Ganz offensichtlich hatte ihr Nerissa mitgeteilt, dass Vespasia bereits da war.
»Guten Morgen, Lady Vespasia«, sagte sie freundlich. Dann wandte sie sich Serafina zu. »Wie geht es dir heute? Ich habe dir ein paar Lilien aus unserem Gewächshaus mitgebracht und sie Nerissa gegeben, damit sie sie in eine Vase stellt.« Sie setzte sich auf die Bettkante, wobei sie darauf achtete, Serafinas Füßen nicht zu nahe zu kommen.
»Gut, danke«, gab Serafina zurück. Sie sah verwirrt drein. »Ich weiß gar nicht, warum ich noch im Bett bin. Und wie spät ist es? Ich müsste längst aufgestanden sein.« Mit plötzlich beunruhigtem Ausdruck fragte sie: »Was tun Sie in meinem Schlafzimmer?«
»Dir geht es nicht gut«, sagte Adriana rasch. »Du bist auf dem Weg der Besserung, aber es ist für dich noch zu früh, um aufzustehen. Außerdem ist es draußen sehr kalt.«
»Tatsächlich?« Serafina wandte sich dem Fenster zu. »Ist es Herbst? Der Baum ist ganz kahl. Oder Winter?«
»Winter, aber fast schon Frühling«, gab Adriana zurück. »Draußen ist es ziemlich unangenehm. Ein kalter Wind, der alles durchdringt.«
»Dann war es sehr freundlich von Ihnen zu kommen«, sagte Serafina. »Kennen Sie Lady Vespasia Cumming-Gould?«
»Ja«, versicherte ihr Adriana.
»Wir sind alte Freundinnen«, erläuterte Serafina und nickte dabei. »Wir haben miteinander gekämpft.«
Adriana blickte verwirrt drein.
»Ach so!«, sagte Serafina mit leisem Lachen. »Natürlich Seite an Seite, nicht gegeneinander, meine Liebe, auf keinen Fall gegeneinander.« Sie warf Vespasia einen Blick zu, eine belustigte geheime Botschaft voll augenzwinkerndem Einvernehmen.
Adriana sah zu Vespasia hin, als erwarte sie von ihr eine Bestätigung oder vielleicht auch eine Hilfe.
Vespasia bemühte sich, ihre Überraschung nicht zu zeigen.
Es gab keine andere Möglichkeit, als zuzustimmen. »Gewiss«, sagte sie, so begeistert sie konnte. »Jede auf ihre eigene Weise.« Sie musste das Gespräch in eine harmlosere Richtung lenken. An wie viel mochte sich Serafina erinnern? Stand sie im Begriff, eine ihrer fantasievollen Geschichten aufzutischen, von denen
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