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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schloss Vespasia die Tür und kehrte zu Serafina zurück. Sanft legte sie ihr eine Hand auf die blau geäderten ineinander verkrampften Hände und fragte: »Was ängstigt dich denn so sehr?«
    Die Furcht kehrte in Serafinas Augen zurück. »Ich weiß zu viel«, flüsterte sie. »Entsetzliche Dinge, Mordpläne, Leichen, die sich zu Bergen türmen …«
    »Über wen weißt du zu viel?«, erkundigte sich Vespasia, bemüht, den Ausdruck von Schmerz aus ihrer Stimme herauszuhalten. »Meine Liebe, die meisten sind doch schon dahingegangen. Woran du dich erinnerst, sind alte Auseinandersetzungen, die jetzt nichts mehr zu bedeuten haben. Wir leben im Jahre 1896, mit neuen Herausforderungen, in die wir nicht annähernd so stark verwickelt sind wie früher.«
    »Das weiß ich selbst«, sagte Serafina rasch. »Aber manche Geheimnisse verjähren nie, Vespasia. Verrat bleibt immer Verrat, wenn es dabei um Menschen geht, die nicht hätten ster ben müssen. Brüder, Väter und Ehegatten, die man dem eigenen Vorankommen zuliebe dem Henker überantwortet hat. Blutgeld lässt sich nie zurückzahlen.«
    Vespasia sah sie aufmerksam an und erkannte in ihren Augen, dass sie bei klarem Verstand war, doch unübersehbar hatte Serafina Angst. Vielleicht entsetzte Vespasia das am meisten, denn ängstlich hatte sie Serafina bei keiner ihrer früheren Begegnungen erlebt – ob in London, Paris, Wien, in Ballsälen, bei heimlichen Verschwörertreffen in einer Jagdhütte oder einem Hinterzimmer in der Stadt.
    »Vor wem hast du Angst?«, fragte sie im Flüsterton.
    Tränen traten in Serafinas Augen, und ihre dürren Finger schlossen sich fest um Vespasias Hand. »Ich weiß nicht. Es waren so viele. Ich weiß nicht einmal, welche jetzt noch von Bedeutung sind. Die Hälfte der Zeit ist mir nicht einmal klar, was ich sage!« Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich habe keine Vorstellung davon, wer zur Zeit mit wem im Bunde steht, und wenn ich etwas falsch mache, wird man mich umbringen. Ich weiß zu viel, Vespasia! Ich hatte schon überlegt, alles niederzuschreiben und das öffentlich bekannt zu geben, aber was würde ich damit erreichen? Nur Schuldige würden mir Glauben schenken. Es ist alles so …«
    Vespasia nahm die Hand der anderen in beide Hände. »Bist du denn sicher, dass es nach wie vor Geheimnisse gibt, die von Bedeutung sind? So vieles hat sich geändert. Franz Joseph ist inzwischen ein durch die tragischen Ereignisse gebrochener und vergleichsweise milder alter Mann.«
    »Das ist mir bekannt, wie auch die tragischen Ereignisse. Ich weiß mehr darüber als du, Vespasia.«
    »Mayerling?«, fragte Vespasia überrascht. »Woher willst du das wissen? Man hat das Jagdschloss niedergebrannt und damit alle Beweismittel vernichtet.«
    »Nicht alle«, sagte Serafina leise. »Ich kenne Leute. Ich habe meinen Verstand erst im vorigen Jahr verloren.« Sie sah suchend in Vespasias Augen. »Aber es gibt noch andere Geheimnisse, ältere. Ich weiß, wer Esterhazy erschossen hat und warum. Ich weiß auch, wer in Wahrheit Stefans Vater war und wie sich das beweisen lässt. Außerdem weiß ich, wer Lazar Dragovic verraten hat.« Die Tränen liefen ihr über die schlaffen Wangen. »Ich habe solche Angst, dass ich vergesse, mit wem ich rede, und dabei Dinge preisgebe, die ich besser für mich behalten würde.«
    Vespasia begriff, dass Serafinas Sorge nicht nur der Möglichkeit galt, Geheimnisse versehentlich preiszugeben, sondern auch der, dass ein davon Betroffener sie aus Angst vor deren Enthüllung töten würde, um zu verhindern, dass sie bekannt wurden.
    Es war sinnlos, mit ihr ein Gespräch zu führen, bei dem es lediglich um das Wetter und andere Belanglosigkeiten ging. Sie wusste offenbar, in welchem Jahr sie lebten, und sie hatte Vespasia erkannt. Wie aber hatte es sich damit verhalten, als Adriana Blantyre bei ihr gewesen war? Hatte sie sich zum Teil lediglich verwirrt gestellt, und das mit voller Absicht? Aber welchen Sinn konnte der Versuch haben, Mrs. Blantyre in die Irre zu führen?
    »Vielleicht wäre es gut, wenn du eine Weile weniger Besucher empfingest«, schlug sie vor. »Unter Umständen könnte man wohl sogar dafür sorgen, dass nur solche kommen, die möglichst wenig über diese Dinge wissen. Selbst wenn du sie dann mit anderen verwechseltest, würden sie nicht verstehen, was du sagst. Mir ist klar, dass das entsetzlich langweilig sein kann, aber zumindest wärest du dann sicher.«
    Serafina begriff, und ein Ausdruck von

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