Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
von sich und lächelte Pitt zu, weniger aus Vorfreude auf die Abendeinladung am nächsten Tag, als um ihm das Herz nicht schwer zu machen. »Wie schön. Das wird bestimmt großartig und gibt mir außerdem einen glänzenden Vorwand, das neue Kleid zu tragen, das ich mir gekauft habe.« Ja, endlich musste sie sich nicht mehr wie früher mit dem zufriedengeben, was sie sich von Emily oder Tante Vespasia hatte leihen können. »Es hat einen herrlichen Blauton und ist nach der letzten Mode – genau das Richtige.«
Sie erkannte die Belustigung in seinen Augen und erklärte: »Adriana Blantyre ist sehr schön, Thomas. Ich muss mir Mühe geben, um von ihr nicht zu sehr in den Schatten gestellt zu werden.«
»Ist sie denn auch tapfer und klug?«, fragte er. »Oder lustig und gütig?« Er brauchte nicht weiterzureden; sie hatte sofort begriffen, worauf er mit seinen freundlichen Worten hinauswollte.
Trotz der Röte, die ihr in die Wangen stieg, sah sie ihn fest an. »Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall hat sie mir gleich gefallen, und ich freue mich darauf, sie ein wenig besser kennenzulernen.« Dann fügte sie hinzu, plötzlich wieder ernst: »Thomas, ist Blantyre für dich wichtig? Wird er dich unterstützen?«
»Das hoffe ich«, gab er zurück, und sie wünschte, er könnte ihr sagen, was ihn bedrückte, abgesehen von der Bürde, die es bedeutete, Narraways Position und die damit verbundene schwere Verantwortung zu übernehmen. Gern hätte sie ihm zu verstehen gegeben, wie sehr sie davon überzeugt war, dass er der richtige Mann am richtigen Platz war. Doch da sie weder wusste, worum es bei dieser Sache ging, noch, ob er der Aufgabe gewachsen sein würde, wäre das sinnlos gewesen. Die beiden Männer waren äußerst wesensverschieden. Bevor sie mit Narraway nach Irland gereist war, hatte sie ihn für einen Intellektuellen gehalten, der gern allein war, sei es, weil das seinem Naturell entsprach, sei es, weil er es nicht anders kannte. Erst als man ihn von seinem Amt als Leiter des Staatsschutzes entbunden hatte, war ihr seine Verletzlichkeit aufgegangen, sein Bedürfnis nach menschlicher Wärme.
Im Übrigen hatte Narraway bei der Ausübung seines Berufs eine Skrupellosigkeit an den Tag gelegt, die Pitt ihrer festen Überzeugung nach nie so wie jenem zur zweiten Natur werden konnte. Zumindest hoffte sie das.
Genau das war ein Teil der Schwierigkeit, denn außer seiner ausgeprägten Gerechtigkeitsliebe gehörte zu dem, was sie an Pitt am meisten liebte, die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Möglicherweise würden es ihm diese beiden Eigenschaften fast unmöglich machen, Entscheidungen von bestürzender Schwere zu treffen, wie sie in seiner Führungsposition unausweichlich waren – zumal, da er sie nun ganz allein würde treffen müssen, ohne mit jemandem darüber sprechen zu können.
Charlotte kleidete sich für die Abendeinladung so an, wie sie das noch mit etwas über zwanzig gewohnt gewesen war, zu einer Zeit, als ihre Mutter ebenso verzweifelt wie vergeblich versucht hatte, für die ungebärdige junge Frau einen passenden Gatten zu finden. Das Kleid, das sie gekauft hatte, war modisch genug, um sich damit sehen zu lassen, aber nicht so modisch, als dass sie es in einigen Monaten nicht mehr würde tragen können. Seine Farbe brachte den warmen Ton ihrer Haut und den leicht kastanienbraunen Schimmer ihres Haars in vollkommener Weise zur Geltung, und sein Schnitt betonte die sanften Rundungen ihrer Figur. Bei ihrer Frisur ließ sie sich von Minnie Maude helfen. Deren Aufgabe bestand vor allem darin, dafür zu sorgen, dass die Nadeln die Pracht und Fülle festhielten und sich keine Strähne löste. So etwas war in der feinen Gesellschaft ebenso verpönt, als wenn einem das Kleid verrutschte – und es ließ sich noch schwieriger wieder in Ordnung bringen.
Es kam ihr vor, als habe sie ein oder zwei graue Haare entdeckt. Möglicherweise bildete sie sich das aber auch nur ein, denn ihre Mutter, die sehr viel älter war als sie, hatte kaum graue Haare. Davon abgesehen ließ sich etwas dagegen unternehmen. Zwei Wochen lang in kräftigen Tee eingelegte Eisennägel ergaben ein wunderbares Mittel, um Haare dunkler zu tönen! Tee tat den Haaren ohnehin gut; es verlieh ihnen einen seidigen Schimmer, wenn man sie von Zeit zu Zeit damit spülte.
Sie trug nur wenig Schmuck, nicht nur, weil sie das für eleganter hielt, sondern auch, weil sie nicht besonders viel davon besaß, was sie aber nicht an die große Glocke
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