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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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den Wäldern um die Stadt herum wimmelt es von diesen Tieren.«
    Unwillkürlich überlief sie ein leichter Schauer.
    »Ich denke, mir wären dort die Musik und der Tanz sehr viel lieber«, sagte sie mit Entschiedenheit.
    »Es ist eine herrliche Stadt, in der alles möglich zu sein scheint, was man sich erträumt.«
    »Waren Sie dort, als Johann Strauß selbst seine Walzer gespielt hat?«, fragte sie.
    »Aber selbstverständlich!« Einen Augenblick lang sah er zu seiner Frau hin, und ein unübersehbarer Ausdruck tiefer Zärtlichkeit legte sich auf seine Züge. »Wir haben einander in Wien kennengelernt.«
    Adriana verdrehte ihre dunklen Augen, und mit leicht amüsiertem Lächeln verbesserte sie ihn: »In Wien haben wir zum ersten Mal miteinander getanzt. Kennengelernt haben wir uns in Triest.«
    »Ich erinnere mich aber an den Mondschein über der Donau!«, begehrte er auf.
    »Mein Lieber«, sagte sie, »das war die Adria. Wir haben einander wortlos angesehen. Mir war klar, dass du mich beobachtetest.«
    »Tatsächlich? Ich dachte, ich hätte das ganz unauffällig getan.«
    Sie lachte und wandte sich ab.
    Einen Augenblick lang nahm Charlotte an, das geschehe aus Feingefühl, weil Blantyre gerührt aussah. Dann sah sie, wie im Lichtschein eine Träne in Adrianas Augenwinkel aufblitzte. Allem Anschein nach hatte sie etwas nicht verstanden, was weit tiefer reichte als die Worte der beiden.
    Als sie wenige Minuten darauf ins Esszimmer gebeten wurden, lenkte die eindrucksvolle Schönheit des Raumes Charlotte von anderen Gedanken ab. Er wirkte in keiner Weise englisch, sondern war ganz und gar in einem Stil eingerichtet, den sie für italienisch hielt und bei dem die Schlichtheit der Proportionen die Wärme der Farben hervorhob.
    Unmittelbar bevor sie Platz nahmen, fragte Adriana, die dicht hinter ihr stand: »Gefällt es Ihnen?«, und fügte rasch hinzu, wie um sich zu entschuldigen: »Wie könnten Sie eine solche Frage mit ›Nein‹ beantworten?« Sie lächelte betrübt. »Ich lebe gern in England, aber das hier erinnert mich an meine Heimat, und ich lasse alles so, weil ich möchte, dass die Menschen hier mit dem vertraut werden, was ich kenne und liebe.« Ohne auf Charlottes Antwort zu warten, trat sie ans andere Ende des langen Tisches, während Blantyre am Kopfende Platz nahm.
    Charlotte und Pitt saßen einander an den Längsseiten gegenüber. Stumm und mit auf lange Übung zurückgehender Unauffälligkeit trugen ein Lakai und ein Dienstmädchen die Speisen auf. Auf eine klare Suppe folgten ein leichter Fischgang und als Hauptgang Lamm in Rotweinsauce.
    Das Tischgespräch floss munter dahin und berührte viele Themen. Blantyre war ein ausgesprochen unterhaltsamer Gastgeber, der voller Anekdoten über seine Reisen steckte, insbesondere aus der in den Hauptstädten Europas verbrachten Zeit. Auf seinen Zügen erkannte Charlotte eine unverhüllte Begeisterung für alles, was an den jeweiligen Orten ungewohnt oder nicht alltäglich gewesen war, vor allem aber eine Liebe zu Österreich, die alles andere überlagerte.
    Er äußerte sich darüber, wie fröhlich und kultiviert das Leben dort war, sprach aber auch über Paris, das Theater, Künste und Philosophie. Doch sobald er auf die Wiener Operette und ihre herrliche Musik zu sprechen kam, die in jedem den Wunsch weckte, selbst auf der Stelle zu tanzen, gewann seine Stimme eine besondere Eindringlichkeit.
    »Die Leute müssen da Tische und Stühle am Boden festschrauben«, sagte er, und es klang fast so, als ob er es ernst meinte. Er lächelte, während er den Blick in die Ferne richtete. »Wien ist stets in meinen Träumen gegenwärtig. In einem Augenblick weint man, im nächsten lacht man. Aus dem einen erwächst die Kraft für das andere. Die Vermischung der Vielzahl von Kulturen, die dort stattfindet, bedeutet einen einzigartigen Reichtum.«
    Adriana machte eine leichte Bewegung, und das Spiel des Lichts auf ihrem Gesicht veranlasste Charlotte, zu ihr hinzusehen. In den Augen wie auch in den Schatten um den Mund der Frau, die zu jung war, als dass sich dort schon Linien hätten eingraben können, erkannte sie Schmerz und Verletzlichkeit. Einen flüchtigen Augenblick lang wirkte sie ganz und gar verloren, doch gleich darauf war dieser Eindruck verschwunden. Sie ließ die Gabel sinken, als wolle sie nicht weiteressen.
    Charlotte war überzeugt, dass auch Blantyre das gesehen hatte, doch fuhr er, nahezu ohne Atem zu holen, mit seinem Bericht über Musik und Farbe fort,

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