Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
als wolle er verhindern, dass Charlotte oder Pitt etwas auffiel.
Der nächste Gang wurde aufgetragen. Blantyre wechselte das Thema und wurde ernster. Jetzt schien sich seine Aufmerksamkeit auf Pitt zu richten.
»Natürlich hat sich dort in jüngster Zeit so manches geändert«, sagte er und verzog das Gesicht ein wenig. »Genaugenommen seit dem Tod des Kronprinzen Rudolf.«
Überrascht weiteten sich Adrianas Augen, wahrscheinlich, weil er das Thema bei Tisch ansprach und noch dazu Menschen gegenüber, die sie kaum kannten.
Sogleich fragte sich Charlotte, ob die Tragödie von Mayerling der eigentliche Grund für die Einladung an ihren Mann sein mochte. Doch auf welche Weise könnte diese Angelegenheit mit dem britischen Staatsschutz zu tun haben? Sie sah zu Pitt hinüber und erkannte, dass sich seine Stirn leicht in Falten legte.
»Der Kaiser selbst führt ein anspruchsloses, ja, geradezu spartanisches Leben – und zugleich ein strenges Regiment«, fuhr Blantyre fort, als sei ihm nichts aufgefallen. »Er schläft auf einem alten Feldbett und steht morgens um halb fünf auf, um sich an seine Staatsgeschäfte zu begeben. Er trägt die Uniform eines rangniedrigen Offiziers, und es würde mich nicht im Geringsten wundern, wenn er sich von Wasser und Brot ernährte.«
Charlotte sah ihn aufmerksam an, um zu erkennen, ob er sich einen Spaß erlaubte, denn bisher waren seine Geschichten amüsant, voll Witz und munterem Spott gewesen, so, wie man sich bisweilen über Menschen lustig machte, die man gut leiden konnte. Jetzt aber erkannte sie auf seinen Zügen nicht die geringste Belustigung. Seine Nasenlöcher waren ein wenig geweitet, und sein Mund wirkte leicht verkniffen.
»Evan«, sagte Adriana mahnend.
»Commander Pitt ist Leiter des Staatsschutzes, Liebling«, gab Blantyre in leicht verweisendem Ton zurück. »Da dürfte er sich kaum Illusionen hingeben. Das ist auch besser so, und wir sollten auf keinen Fall dazu beitragen, dass er sich welche macht.«
Sie erbleichte sichtbar, erhob aber keinen Widerspruch.
Charlotte fragte sich, wohin das Gespräch führen mochte. Wie viel davon war Information, an der Pitt gelegen war? Waren sie etwa gekommen, damit er auf diese Weise etwas erfuhr? Sie wandte sich Blantyre zu und sah ihm in die Augen, während sie von ihren eigenen Gedanken so wenig wie möglich preiszugeben versuchte.
»So, wie Sie den österreichischen Kaiser beschreiben, wirkt er in der Tat ziemlich hart«, sagte sie. »War er schon immer so, oder geht das auf den Kummer um den Tod seines Sohnes zurück?«
Blantyre gab zur Antwort: »Ich fürchte, er war schon immer ein ziemlicher Langweiler. Die arme Sissi entzieht sich diesem trüben Leben, sooft sie kann. Sie ist ein wenig exzentrisch – aber wer könnte der Bedauernswerten einen Vorwurf daraus machen?«
Ein Blick auf Pitts Gesicht zeigte Charlotte, dass er ebenfalls verwirrt war, wenn er sich auch bemühte, sich das nicht anmerken zu lassen.
»Kaiserin Elisabeth«, erläuterte Blantyre mit leicht gehobenen Brauen. »Alle Welt nennt sie Sissi, Gott weiß, warum. Im Grunde ihres Herzens ist sie zutiefst unkonventionell. Sie reist rastlos von einem Ort zum anderen, meist nach Paris oder vielleicht auch nach Rom.«
Jetzt mischte sich Charlotte ein, in der Hoffnung zu erfahren, ob ihre Vermutung stimmte, nämlich dass die Dinge, über die Blantyre sprach, in irgendeiner Weise mit Pitts neuestem Fall zu tun hatten.
»Was war denn zuerst?«, fragte sie unschuldig.
Er wandte sich ihr zu und sah sie aufmerksam an. Es kam ihr vor, als blitze in seinen Augen leichter Spott auf. »Zuerst?«, fragte er.
Sie sah ihn an. »Der Wunsch der Kaiserin, seinem Langweilertum zu entfliehen, oder sein Rückzug in die Einsamkeit, weil sie im Geiste irgendwelchen Abenteuern nachjagte?«
Er nickte nahezu unmerklich. »Soweit ich weiß, trifft keins von beiden zu. Aber Erzherzog Rudolf wurde zwischen der starren Art eines militärischen Zuchtmeisters, mit der ihn sein Vater behandelte, und den ziellosen Höhenflügen seiner Mutter förmlich zerrieben. Er war ziemlich klug, müssen Sie wissen.« Zu Pitt gewandt fuhr er fort: »Ab und an hat er die Gelegenheit genutzt, sich der Zwangsjacke der Pflicht zu entziehen, und glänzende Artikel für radikale Zeitungen verfasst, natürlich unter Pseudonym.«
Pitt erstarrte mitten in der Bewegung, sodass seine Gabel auf halbem Weg zum Mund in der Luft verharrte.
Blantyre lächelte. »Es überrascht mich nicht, dass Sie das
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