Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
füllen.
»Glänzend«, sagte Emily. »Wir gehen heute Abend ins Theater. Es ist ein neues Stück und, wie es heißt, sehr interessant.«
»Wie schön. Ich hoffe, es gefällt euch. Hast du in letzter Zeit von Mutter und Joshua gehört?« Da Joshua Fielding, der zweite Mann ihrer Mutter, Schauspieler war, schien sich diese Frage anzubieten. Auf jeden Fall verhinderte sie, dass wieder ein lastendes Schweigen zwischen sie trat.
»Schon ein paar Wochen nicht mehr. Sie sind in Stratford. Hattest du das vergessen?«
Das hatte Charlotte in der Tat, doch wollte sie das nicht zugeben. In Emilys Ton hatte eine Spur Herablassung gelegen. »Nein«, sagte sie daher. »Ich nehme an, dass es auch dort Telefone gibt.«
»Nicht in der Art von Pension, in denen Theaterleute absteigen«, teilte ihr Emily mit. »Ich hatte gedacht, das sei dir bekannt.«
»Da weißt du mehr als ich«, gab Charlotte umgehend zurück. »Ich hatte bisher keine Gelegenheit, mich danach zu erkundigen.«
»Da unsere Mutter regelmäßig in solchen Pensionen wohnt und dir ihr Wohlergehen am Herzen zu liegen scheint, solltest du das vielleicht tun«, konterte Emily.
»Großer Gott, Emily! Ich habe einfach gefragt, um etwas zu sagen.«
»Dass dir mal die Worte fehlen, ist mir neu.« Emilys Ton war nach wie vor zurechtweisend. »Du weißt doch sonst immer genau, was du sagen willst.«
»Bestimmt gibt es vieles, was dir neu ist«, gab Charlotte bissig zurück. »Ich hatte gehofft, wir könnten ein vernünftiges Gespräch miteinander führen. Leider scheint das nicht der Fall zu sein.«
»Du willst wohl sagen, du hast gehofft, dass ich Jack bitte, Thomas in seiner verfahrenen Lage unter die Arme zu greifen«, entgegnete Emily.
Charlotte hörte den Trotz in der Stimme der Schwester und erwog einen Augenblick, ob sie Freundlichkeit dagegensetzen sollte. Dann aber gewannen ihr Temperament und ihr Wunsch, zu Pitt zu stehen, die Oberhand.
»Da überschätzt du aber meinen Glauben an Jacks Fähigkeiten«, sagte sie kalt. »Thomas ist durchaus aus eigener Kraft imstande, Schwierigkeiten zu lösen, die sich ihm unter Umständen in den Weg stellen. Es tut mir leid, wenn ich dich gestört habe. Vielleicht sollten wir uns irgendwann später noch mal unterhalten, vorausgesetzt, dass du dann etwas zugänglicher bist.«
Sie hörte, wie Emily laut ihren Namen sagte, hatte aber den Hörer bereits vom Ohr genommen. Eine Fortsetzung des Gesprächs würde nur zu noch mehr Ärger führen. Sie hängte auf und ging mit einem Kloß im Hals in die Küche. Es war wohl das Beste, sich eine nützliche Aufgabe zu suchen.
Charlotte war begeistert über die Einladung Blantyres, von der Pitt sie am Abend in Kenntnis setzte. Noch wichtiger als die Aussicht auf das gesellschaftliche Ereignis war ihr aber zu sehen, wie sehr es Pitt zu erleichtern schien, dass sich endlich jemand seine Bedenken nicht nur angehört, sondern sie vor allem ernst genommen hatte. Auch wenn sie nicht wusste, worum es dabei ging, kannte sie ihn gut genug, um zu merken, dass ihn etwas bedrückte. Sie sah ein, dass er ihr keine Einzelheiten mitteilen durfte und als Leiter des Staatsschutzes vieles für sich behalten musste.
Viele Jahre hindurch hatte sie an seiner Arbeit teilgenommen und ihm bei einer ganzen Reihe von Fällen helfen können, insbesondere, wenn es dabei um Angehörige der Schicht ging, in die sie, anders als er, hineingeboren war. Anfangs hatte er das als Einmischung angesehen, aber auch um ihre Sicherheit gefürchtet, nach und nach jedoch nicht nur ihre Urteilsfähigkeit zu schätzen gelernt, sondern auch ihre Beobachtungsgabe und Charakterstärke.
Auch Emily hatte unerschrocken und scharfsinnig an der Aufklärung einiger dieser Fälle mitgewirkt – doch das war in einer Vergangenheit gewesen, die jetzt in weiter Ferne zu liegen schien. Der Gedanke an das Zerwürfnis mit der Schwester rief in ihr einen überraschend großen Schmerz hervor. Sie waren weiter denn je voneinander entfernt. Natürlich nahm Charlotte es ihr nicht übel, dass sie sich Jack näher fühlte als ihr, stand doch auch sie selbst ihrem Mann am nächsten. Trotzdem hatte sie das Gefühl eines Verlusts. Ihr fehlte das gemeinsame Lachen und das Vertrauen zwischen ihnen, die Fähigkeit, wie früher offen über alles zu reden, ganz gleich, ob es um unerhebliche oder um wichtige Dinge ging. Es gab niemanden, dem sie je das gleiche Maß an Vertrauen schenken würde wie ihrer Schwester.
All diese trüben Gedanken schob sie jetzt
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