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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nur noch selten als ferner Albtraum in ihre Gedanken. Vor vier Jahren war auch Vater Ellison gestorben, und eine Weile danach hatte Caroline, die Mutter, noch einmal geheiratet. Auch damit waren gemischte Gefühle verbunden gewesen, doch inzwischen hatte sich Emily zum Teil und Charlotte vollständig damit abgefunden. Lediglich ihre Großmutter Mariah Ellison zeigte sich nach wie vor über diese »Mesalliance« entsetzt – so nannte sie es, da Caroline einen Mann geheiratet hatte, der nicht nur deutlich jünger war als sie, sondern außerdem noch Schauspieler und, als ob das nicht genügte, auch noch Jude. Sie ließ sich keine Gelegenheit entgehen, all ihrer aufgestauten Wut darüber Luft zu machen. Dass Caroline mit ihm unübersehbar glücklich war, setzte in ihren Augen dem Ganzen die Krone auf.
    Immerhin sah es so aus, als lernte Emily inzwischen auf eine andere Art zu lieben. Es ging ihr nicht um sie selbst, sondern es war eine reifere Empfindung: Sie wollte Jack beschützen.
    Allerdings bedeutete das keineswegs das Ende ihres Ehrgeizes – dazu war dieser zu fest in ihr innerstes Wesen verwoben.
    Charlotte verstand ihre Schwester mindestens ebenso gut wie diese sich selbst. Auch sie hatte den Instinkt einer Tigerin entwickelt, wenn es gegolten hatte, Pitt zu beschützen, doch zugleich war ihr jederzeit bewusst gewesen, dass sie ihn in seiner neuen Stellung so gut wie nicht unterstützen konnte. Er bewegte sich auf einem weit weniger vertrauten Gelände als Jack, der aus einer zwar unvermögenden, aber eben doch aristokratischen Familie stammte und in der Hälfte der englischen Grafschaften über Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten verfügte. Pitt hingegen war der Sohn eines Wildhüters, eines Mannes aus der dienenden Klasse.
    Und dennoch. Sofern Charlotte die Absicht gehabt hätte, ihn hier und jetzt zu beschützen, hätte sie nie und nimmer so offen wie Emily zu erkennen geben, dass sie das für nötig hielt.
    Als die Musik geendet hatte und der Beifall verhallt war, wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Schon bald fand sich Charlotte in eine Unterhaltung mit einer ungewöhnlichen Frau verwickelt. Sie war vermutlich etwa in ihrem Alter, um die Ende dreißig, unterschied sich aber in jeder anderen Beziehung gründlich von ihr. Sie war von zerbrechlicher Schlankheit und trug ein weites Kleid, dessen Farbe man am ehesten mit der von Cognac hätte vergleichen können, durch den das Licht einer Kerze fiel. Sie hatte volle, weiche Lippen, Hals und Schultern wirkten so empfindlich, als könnten sie bei kräftigem Druck in Stücke gehen. Bläuliche Adern schim merten durch ihre milchweiße Haut, und ihr Haar war nahezu nachtschwarz. Über hohen Wangenknochen saßen Augen mit schweren Lidern und dunklen Wimpern. Auf Charlotte machte ihr makelloses Gesicht sogleich einen liebenswerten Eindruck, und sie spürte, dass von dieser Frau eine große innere Stärke ausging.
    Sie stellte sich als Adriana Blantyre vor. Sie sprach mit leiser und ein wenig belegter Stimme, in der Charlotte einen kaum wahrnehmbaren fremdländischen Akzent zu erkennen meinte. Sie hörte doppelt aufmerksam zu, um sich zu vergewissern, dass es sich tatsächlich so verhielt.
    Auch der hochgewachsene und dunkelhaarige Mann an ihrer Seite war eine auffallende Erscheinung. Auf den ersten Blick hätte man ihn wohl als gut aussehend bezeichnet, doch war da weit mehr als lediglich ein gleichmäßig geschnittenes Gesicht. Nachdem Charlotte ihm in die Augen gesehen hatte, fühlte sie sich genötigt, immer wieder den Blick auf ihn zu richten, denn in diesen Augen lag der Ausdruck einer wachen Klugheit und aufrichtiger Empfindungen. Seine Haltung war von unangestrengter Anmut. Zwar merkte sie, dass Pitt neugierig zusah, wie sie den Mann musterte, ließ sich aber dadurch nicht davon abhalten.
    Evan Blantyre war ein ehemaliger Diplomat, dessen besonderes Interesse dem Gebiet um das östliche Mittelmeer galt.
    »Das Mittelmeer ist herrlich«, sagte er, als spreche er zu sich selbst, obwohl er Charlotte dabei ansah. »Es ist Europa, doch zugleich auch das Tor zu einer weit älteren Welt und zu Zivilisationen, die der unseren vorausgegangen sind und der diese ihre Entstehung verdankt.«
    »Wie beispielsweise Griechenland?«, fragte Charlotte, die ihr Interesse nicht zu heucheln brauchte, »und möglicherweise auch Ägypten?«
    »Byzanz, Makedonien und davor Troja«, führte er aus. »Die Welt Homers, die unserem Denken zugrunde liegenden Erinnerungen, die

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