Mord in h-moll
»Nun weiß ich Bescheid; Respekt, das haben Sie sich sehr gut ausgedacht. Ganz harmlos. Man pumpt Geld, ein Schuldschein als Beleg dafür ist vorhanden, und als Sicherheit die Lebensversicherung. Wirklich, gar nicht dumm.«
Ich redete irgendwelche Worte, um Zeit zu gewinnen. Jetzt mußte ich ihn töten, jetzt in diesem Augenblick, ehe ich diese beiden Papiere unterschrieben hatte, sonst war es zu spät. Er bekam dann das ganze Geld, aber ich würde niemals mein Tonband erhalten. Immer und ewig, solange ich atmete, konnte er mich weiter erpressen.
»Na«, sagte er grinsend. »Fällt Ihnen etwas Besseres ein?«
»N-nein«, stammelte ich. »Im Augenblick nicht. Ich möchte aber... darf ich mir das nicht erst überlegen?«
»Wozu? Unterschreiben Sie.«
»Und wann erhalte ich mein Tonband zurück?«
»Sobald ich das Geld in Händen habe.«
»Einseitig«, sagte ich. »Sehr einseitig ist das. Sie haben mich in der Hand, und Sie bekommen Ihr Geld, das ist eindeutig und klar. Aber welche Sicherheit habe ich dafür, daß Sie mir mein Tonband zurückgeben? Das Original, und daß Sie keine Kopie behalten?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Es steht Ihnen völlig frei zu unterschreiben oder nicht.«
Es blieb mir wirklich kein Ausweg. Ich mußte unterschreiben, obwohl ich wußte, daß es mein Todesurteil sein würde. Konnte ich ihn nicht doch erschlagen? Wie hatte er eben selbst gesagt? Kein Mensch würde das hier oben hören, kein Mensch im ganzen Haus? Ihm an die Kehle springen, zudrücken...
Er hielt mir einen Füllfederhalter hin.
»Unterschreiben Sie, es nützt Ihnen ja alles nichts mehr.«
Er legte die beiden Schriftstücke übereinander vor mich hin auf den Tisch. Zweimal mußte ich meinen Namen darunter setzen.
Ich tat es. Was sonst hätte ich tun sollen?
Heute gebe ich offen zu, daß ich ihn getötet hätte, wenn ich nur irgendeine Möglichkeit dazu gefunden haben würde. Keinerlei moralische Bedenken waren es, die mich zurückhielten. Nur meine Unfähigkeit und meine eigene körperliche Schwäche retteten ihm in diesen Sekunden das Leben.
Ich schrieb meinen Namen unter die beiden Schriftstücke.
Dann blickte ich auf und erschrak über dieses satanische, triumphierende Gesicht.
Grinsend faltete er den einen Bogen zusammen und steckte ihn ein, den anderen legte er auf den Tisch.
»Buchhalter wollen Sie sein?« sagte er. »Von Buchhaltern könnte man mehr Aufmerksamkeit erwarten. Lesen Sie, was Sie da unterschrieben haben.«
Meine Hände fingen an zu flattern. Wieso denn, das waren doch der Schuldschein und die Übereignung gewesen... aber... sie hatten übereinander gelegen, ich hatte sie nicht mehr kontrolliert... er hatte mir ein anderes Schriftstück untergeschoben...
Dieser Briefbogen, den ich jetzt langsam vom Tisch wegnahm, war neutral, ohne gedruckten Briefkopf. Dafür war es ein längeres Schreiben. Rechts oben stand:
München, den 14. Oktober
An diesem Tag war ich hierher gefahren. Neugierig wollte ich lesen, aber plötzlich verschwammen mir die Buchstaben vor den Augen. Das war doch nicht möglich...
»Lesen Sie, zum Teufel«, hörte ich seine Stimme aus weiter Ferne. Es war die Stimme von Dr. Mertens, diese verhaßte Stimme, die mich seit Hildas Tod zur Verzweiflung trieb.
Ich las.
Ich, Stefan Roeder, verlasse heute meine Heimatstadt München, um mich zu töten, nachdem ich meine Frau Hilda in München in unserer Wohnung ermordet habe.
Am Morgen des 7. Oktober, einem Mittwoch, habe ich meine Frau in der Badewanne ertränkt. Um mir ein Alibi zu schaffen, ließ ich ein Tonband laufen, das von meiner Frau mit Chansons besungen worden war. Damit erweckte ich später im Hause den Eindruck, als habe meine Frau noch gesungen, während ich die Wohnung verließ.
Ich lebte in einer zerrütteten Ehe, meine Nerven waren den ständigen Belastungen nicht mehr gewachsen. Außerdem beging ich eine größere Unterschlagung in meiner Firma, die ich nicht mehr zurückzahlen kann.
Ich glaubte, durch den Tod meiner Frau ein freier Mensch werden zu können, aber nun mußte ich einsehen, daß es mir nicht gelingt. Ich kann mit der Belastung dieses Mordes und mit dem Gefühl, ein gemeiner Mörder zu sein, nicht mehr weiterleben. Deshalb wähle ich als letzten Ausweg den Freitod.
Das Tonband mag als Beweis für meine Angaben dienen, es befindet sich in meinem Koffer.
Davos, den17 . 10.
Unter diesem Schreiben stand meine Unterschrift.
Ehe ich mich versah, hatte mir Doktor Mertens den Brief aus der Hand
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