Mord in Londinium
das Sagen zu haben. Natürlich glauben die meisten Untergebenen, dass sie alles viel besser machen können als der Chef. (Das traf jedenfalls auf das legendäre ›Flora‹ zu, eine Caupona, geführt von meiner Schwester Junia, die dafür so viel Talent besaß wie eine Zehnjährige.)
»So sieht man sich wieder!«, forderte ich sie heraus. »Ich glaube nicht, dass Sie sich an mich erinnern. Ich bin Falco. Ich bilde mir gerne ein, dass Frauen mich niemals vergessen, aber Bescheidenheit ist eine gute römische Tugend.«
Sie kicherte. Das war ein neuer und entschieden abstoßender Charakterzug.
Sie wurde jetzt Flavia Fronta genannt. Eine der Waffen aus dem Arsenal des Statthalters bestand darin, bevorzugten Barbaren römische Bürgerrechte zu verleihen. Im Gegenzug erwartete er, seine Provinz mit loyalen kleinen Freunden des Kaisers zu bevölkern, unterwürfig nach ihm benannt. Es schien zu funktionieren. Und es kostete nichts.
»Also, Flavia Fronta!« Ich gab mir äußerste Mühe, ihr Bild als schmutzige Lieferantin von Unzucht und schlechter Laune, der ich zwei Mal im ›Goldenen Regen‹ begegnet war, aus meinem Gedächtnis zu streichen. Die Atrebaten beobachteten mich. Zugang zu ihrer Zeugin war mir nur unter der Bedingung gestattet worden, die Jungs zuschauen und sicherstellen zu lassen, dass ich ihr nicht auf krumme Art irgendwelche neuen Hinweise entlockte. Damit waren meine Methoden prüfenderen Blicken ausgesetzt, als mir lieb war. »Wie ich höre, haben Sie jetzt eine Aussage über den Tod von Verovolcus gemacht?«
»Ja, Herr, das war entsetzlich.« Ich erstickte fast vor unterdrücktem Lachen über ihren verwandelten Ton. Sie war ruhig, pflichtbewusst und respektvoll. Meiner Meinung nach log sie, dass sich die Balken bogen.
»Erzählen Sie es mir, bitte.«
Die Zivilisation hat vieles auf dem Kerbholz. Flavia Fronta hatte sich sogar einen neuen, grausigen Akzent zugelegt. Mit diesen affektierten Vokalen rezitierte sie ihre Geschichte, als sei sie ihr eingetrichtert worden: »Ein britannischer Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, kam an dem Abend in unsere Schenke und setzte sich zu Spleiß und Pyro.«
»Haben Sie gehört, worüber sie sich unterhalten haben?«
»Ja, Herr. Der Brite wollte in ihr Geschäft einsteigen – ein ziemlich unerfreuliches Geschäft, wie Sie vermutlich wissen. Sie wollten ihn nicht dabeihaben.«
»Und sie sind ganz freundlich miteinander umgegangen?«
»Nein. Sie hatten sich mit ihm getroffen, um sich über sein Interesse zu beschweren. Er bot an, mit ihnen zusammenzuarbeiten, aber sie lachten ihn aus. Er sagte, er stamme aus dieser Provinz und würde in Londinium machen, wozu er Lust hätte. Sie zeigten ihm bald, wie sehr er sich irrte. Sie wissen, was passiert ist. Sie stellten ihn auf den Kopf und stopften ihn in den Brunnen.«
»Hat niemand von Ihnen versucht, sie aufzuhalten?«
»Ich hatte zu viel Angst. Der Besitzer würde sich nie in etwas einmischen.«
»Hat er Pyro und Spleiß Schutzgeld gezahlt?«
»O ja. Er scheißt sich vor Angst in die Hosen, wenn er sie sieht.«
»Pyro und Spleiß waren in Ihrer Schenke bekannt? Und Sie betrachten sie als gewalttätig?«
»Ja, Herr. Sehr gewalttätig.«
»Und was ist mit dem dritten Mann, ihrem Begleiter?«
»Er kommt manchmal rein.«
»Als was betrachten Sie ihn?«
»Als jemanden, dem man besser sehr sorgfältig aus dem Weg geht.«
»Und wer ist er?«
»Ich weiß nur, dass er aus Rom stammt, Herr.«
»Glauben Sie, dass er der Anführer der Bande ist?«
»O ja. Jeder weiß das. Er hat Pyro und Spleiß und andere Leute nach Britannien gebracht. Sie haben schon immer für ihn gearbeitet. Er hat bei allem das Sagen.«
»Und um eines ganz klarzustellen – er war der Mann, der die Befehle gab, an dem Abend, als Verovolcus umgebracht wurde? Aber haben Sie es ihn selbst sagen hören?«
»Ja, er sagte: ›Macht es, Jungs!‹ Und das haben sie getan.«
»Ist er in den Hof gegangen, wo der Brunnen war?«
»Nein, er blieb einfach an dem Tisch sitzen. Und hat gelächelt«, sagte Flavia Fronta mit einem Schaudern. »Das war entsetzlich …«
»Tut mir Leid, dass ich Sie daran erinnern musste. Also, als dieser Mann den Befehl gab, wussten Pyro und Spleiß da genau, was sie zu tun hatten? Als hätten sie es vorher besprochen?«
»Ja. Der Mann konnte nicht glauben, was mit ihm passierte. Ich werde nie den Ausdruck in seinen Augen vergessen …« Ihr Mitleid für Verovolcus schien echt zu sein. Die Atrebaten
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