Mord in Londinium
Straßenbeleuchtung war ein Luxus. In ein paar Stunden würde ich schnellstens von hier verschwinden.
»Ist es das?«, fragte Helena.
»Du warst doch noch nie hier«, murmelte ich.
»Nein, aber ich kann Schilder lesen, Liebling.«
Ich blinzelte zu einem groben Fresko hinauf, mit einer vagen Darstellung von Licht, das durch ein schräg gestelltes Fenster fiel. Die Farbe war so verwittert, dass es mich erstaunte, wieso Hilaris den Namen überhaupt entdeckt hatte. Wir traten ein. Der Türsturz war sehr niedrig. Die meisten Gäste mussten rachitische Zwerge sein.
Die Schankkellnerin, an deren kurze Beine ich mich erinnerte, war nicht da. Der Wirt selbst starrte uns an, als wir hereinkamen. Er schien sich zu wundern, was wir in seiner Schenke wollten, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Das passiert auch in Rom. Das Gastgewerbe erfordert besondere Typen: abweisend, beschränkt, ungenau mit dem Münzgeld und vollkommen taub, wenn man sie ruft. Manche Privatschnüffler sind nicht besser. Aber sie sind meist gut zu Fuß. Der Mann hier hatte überall Hühneraugen, und ihm fehlte mindestens ein Zeh. Das konnte ich sehen, weil es keinen Tresen gab; der Wirt saß einfach nur auf einem Hocker.
Wir suchten uns selbst einen Tisch. Was einfach war – es gab nur einen. Da wir ein Paar auf Reisen spielten, nahm Helena meinen Geldbeutel und ging, um die Bestellung aufzugeben. Ich blieb sitzen und lächelte, wie ein Mann, der nicht mit ausländischem Geld umgehen kann und mehr trinken würde als gewöhnlich, wenn seine Frau es ihm gestattete.
Sie ließ sofort ihr Gerade-angekommen-Gehabe fallen und entschied sich, die Sache auf ihre Weise anzugehen. »Ich glaube, wir trinken heute keinen Wein. Wie ich höre, wird er mit interessanten Dingen versetzt.«
»Was meinen Sie damit?«
»Leichen.«
»Spricht sich ja schnell rum«, erwiderte der Wirt mürrisch.
»Was ist passiert?«
»Keiner hat’s gesehen.« Er lehnte Klatsch und Tratsch ab. Vielleicht zu Gunsten seines Etablissements, hätte es da einen Ruf zu schützen gegeben.
»Wir mussten einfach herkommen und uns den Tatort anschauen … Haben Sie vielleicht frischen Fruchtsaft?« Selbst ich zuckte zusammen. Helena vergaß, dass sie in Britannien war.
»Wir servieren nur Wein.« Ihre Frage war völlig unpassend, aber er enthielt sich jeder sarkastischen Erwiderung. Zu blasiert – oder nur zu viel Aufwand.
»Ach, dann riskieren wir es.«
»Unser Wein ist völlig in Ordnung. Der Mann ist im Brunnen ertrunken«, verbesserte sie der missmutige Knilch.
»Oh! Können wir den Brunnen sehen?«, wollte sie aufgeregt wissen.
Er deutete auf die Hoftür, drückte ihr einen Krug in die Hand und überließ uns uns selbst.
Helena ging hinaus, um rasch in den Brunnen zu schauen, und kam dann mit dem Krug an unseren Tisch zurück.
»Becher, Liebling?«, neckte ich sie, spielte für ein nicht vorhandenes Publikum, aber der Wirt brachte die Becher bereits, mit nicht zu übersehender Eilfertigkeit. »Danke, Legat!« Ich schenkte ein und prostete ihm zu. Er reagierte mit einem brüsken Nicken. »Tut mit Leid«, murmelte ich mitfühlend. »Ihnen müssen die Neugierigen zum Hals raushängen.«
Er schwieg, saugte nur an einem geschwärzten Zahn. Dann stellte er sich ebenso schweigend zwischen seine Amphoren in eine Ecke und starrte uns an. Normalerweise hätte ich versucht, mit anderen Gästen zu plaudern – aber es waren keine da. Und es war unmöglich, mich mit Helena zu unterhalten, während der Mann zuhörte.
Jetzt saßen wir fest. In einer dunklen Kaschemme, der es an jeglicher Atmosphäre fehlte: ein kleiner, quadratischer Raum mit wenigen Sitzplätzen, etwa drei verschieden geformten Weinflaschen, keinem sichtbaren Knabberzeug und einem Wirt, der mit seinem Starren Marmor zum Springen bringen konnte. Wieder fragte ich mich, was Verovolcus, eine fröhliche Seele, die erdrückend gesellig war, überhaupt hierher verschlagen hatte. Die Kellnerin hatte heute Morgen geschworen, dass niemand ihn kannte oder sich an ihn erinnerte. Aber wenn es hier normalerweise so zuging wie heute Abend, wäre es unmöglich gewesen, ihn zu vergessen. Der Wirt musste Zeit gehabt haben, die Stiche an Verovolcus Tunikaborte zu zählen.
An mich würde er sich mit Sicherheit erinnern, bis hin zu der Tatsache, dass meine linke Augenbraue siebenundvierzig Haare hatte. Unbehaglich tranken wir aus und machten uns zum Gehen bereit.
Da ich nichts zu verlieren hatte, witzelte ich beim Zahlen: »Der Goldene
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