Mord in Londinium
borgen. Der Kasten war berühmt für seine gute Ausstattung. »Onkel Lucius hat uns verboten, den Kasten anzurühren.«
»Er ist nicht da. Wir können ihn nicht fragen.«
Worauf sie zu mir kamen. »Falco, wirst du ihn für uns fragen?«
»Wie soll ich das machen?«
Niedergeschlagen erklärte Marius, der Älteste: »Wir dachten, du wüsstest vielleicht, wo er ist. Wir dachten, er hätte dir gesagt, wie du ihn erreichen kannst.«
»Tja, hat er nicht. Aber ich kann in seinen Kasten schauen. Da ich ein Erwachsener bin …«
»Was von manchen bezweifelt wird«, bemerkte Cloelia. Maias Kinder hatten alle den Hang zur Grobheit geerbt, aber offenbar meinte die liebe Cloelia das nur rein sachlich.
»Na gut, dann weil ich sein Freund bin. Aber ich brauche den Schlüssel …«
»Oh, wir wissen, wo er den Schlüssel versteckt!« Na toll. Ich kannte Petronius Longus, seit wir achtzehn waren, und ich hatte nie entdeckt, wo er diesen Schlüssel verbarg. Er konnte sehr geheimnistuerisch sein.
Als ich sein Zimmer betrat, wurden wir alle enttäuscht – sein Medizinkasten war nicht da. Ich suchte sorgfältiger. Auch seine Waffen fehlten. Er hätte Italien nie ohne anständige Bewaffnung verlassen. Das musste ja ein mächtiges Besäufnis sein, dem er sich hingab, wenn er seine sämtlichen Arzneien und sein Schwert mitgenommen hatte.
Später ging ich aus, um die Gegend am Fluss weiter zu erforschen. Marius begleitete mich. Er hatte genug von dem endlosen Getue um Albia. Wir nahmen beide unsere Hunde mit. »Von mir aus kannst du Arctos gern verkaufen!«, rief Maia Marius nach. Sie musste von dem Hundemann gehört haben, dem Helena und ich begegnet waren. »Dein Welpe ist groß und stark, würde für jemanden eine gute Investition abgeben. Oder einen guten Fleischeintopf«, fügte sie grausam hinzu.
Marius, ein robuster Junge, tat, als hätte er nichts gehört. Er liebte seinen Hund und schien auch seine Mutter recht gern zu haben; aufgewachsen zwischen meiner strengen Schwester und ihrem schludrigen Säuferehemann, wusste er längst, was Diplomatie war. Mit seinen elf Jahren verwandelte er sich in die Karikatur eines braven kleinen römischen Jungen. Er besaß sogar eine Toga in Kindergröße, die mein Vater ihm gekauft hatte. Papa hatte die Übergangsriten bei seinen eigenen Söhnen völlig missachtet – hauptsächlich, weil er sich mit seiner Geliebten aus dem Staub gemacht hatte. Jetzt gedachte er, das bei seinen Enkelsöhnen auf traditionelle Weise nachzuholen. (Den höflichen, heißt das. Ich hatte nicht gesehen, dass er die Gossenbengel aus seiner Verwandtschaft verwöhnte.) Ich sagte zu Marius, er sehe aus wie eine Puppe, und brachte ihn dazu, die Toga in der Residenz zu lassen. »Wir wollen doch nicht gleich als Ausländerschweine zu erkennen sein, Marius.«
»Ich dachte, wir sollten den Briten beibringen, wie anständige Römer zu leben.«
»Der Kaiser hat einen Justizlegaten geschickt, der das macht.«
»Den habe ich noch nicht gesehen.« Marius nahm alles wörtlich und stellte alles infrage.
»Nein, der treibt sich in den britannischen Städten herum und gibt Bürgerschaftsunterricht. Wo man in einer Basilika zu sitzen hat, welche Körperteile man mit dem Strigilis bearbeitet, wie man seine Toga wickelt.«
»Du glaubst also, wenn ich in meiner Toga durch die Straßen von Londinium laufe, werde ich ausgelacht.«
Das hielt ich für durchaus möglich.
Unauffällig zu sein war schwierig zusammen mit Arctos und Nux, die an ihren Leinen zerrten. Arctos war ein ungestümes junges Viech mit langem, verfilztem Fell und wedelndem Schwanz, dessen Vater wir nie auf die Spur gekommen waren. Meine Hündin Nux war seine Mutter. Nux war kleiner, verschlagener und erfahrener darin, im ekligsten Dreck zu schnüffeln. Für die Einheimischen waren beide Hunde Mitleid erregend. Briten züchteten die besten Jagdhunde im ganzen Imperium; ihre Spezialität waren Mastiffs, so furchtlos, dass sie es mit den kämpfenden Bestien in der Arena aufnehmen konnten. Selbst ihre kleinen Köter in Schoßhundgröße, mit kurzen, kräftigen Beinchen und spitzen Ohren, waren der reinste Terror, deren Vorstellung eines gemütlichen Nachmittags darin bestand, sich mit einer ganze Dachsfamilie anzulegen – und zu gewinnen.
»Wird Nux dabei helfen, einen Verbrecher aufzuspüren, Onkel Marcus?« Nux schaute auf und wedelte mit dem Schwanz.
»Das bezweifle ich. Nux verschafft mir nur eine Ausrede, mich hier rumzutreiben.« Dann dachte ich, es
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