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Mord in Londinium

Titel: Mord in Londinium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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Mädchen war aufgesprungen und stand neben dem Tisch, an den ich sie geführt hatte, eine dünne, besiegte Gestalt in ihrem geborgten blauen Kleid. Sie sah zu mir auf. Vielleicht fühlte sie sich inzwischen eher jämmerlich als trotzig. »Halt mich nicht zum Narren«, sagte ich. »Lass uns eines klarstellen. Ich weiß, dass du sprechen kannst. Du wirst nicht die ganzen Jahre auf den Straßen Londiniums verbracht haben, ohne Latein zu lernen.«
    Ich ließ sie stehen, ohne auf eine Antwort zu warten.
     
    Es war ein heißer Tag. Die Sonne brannte fast so sengend vom Himmel herab wie in Rom. Menschen trotteten schnaufend durch die engen Gassen. Hier und da spendete ein mit Dachziegeln gedeckter Portikus Schatten, aber die Händler von Londinium hatten die Angewohnheit, die Portiken mit allem möglichen Zeug voll zu stellen: Fässer, Körbe, Holzscheite und Ölamphoren waren in praktischer Reichweite auf den Bürgersteigen abgestellt. Man musste auf der Straße gehen. Da es hier keine Sperrzeit für Fahrzeuge gab, musste man die Ohren nach näher kommenden Fahrzeugen offen halten; irgendein Naturgesetz sorgte dafür, dass sie sich einem ungehört von hinten näherten. Fahrer in Londinium waren der Ansicht, dass die Straße ihnen gehörte und die Fußgänger schon zur Seite springen würden, wenn man sie anfuhr. Die Leute rechtzeitig zu warnen kam ihnen nicht in den Sinn. Sie zu verfluchen, wenn sie einen knapp verfehlt hatten, war etwas anderes. Für »Bist du lebensmüde?« und andere Nettigkeiten dieser Art reichte ihr Latein durchaus.
     
    Ich ging hinunter zu den Kais.
    In der Hitze stanken die hölzernen Planken der Kais nach Harz. Ein träges Siestagefühl lag in der Luft. Einige der langen Lagerhäuser waren mit Ketten und schweren Schlössern gesichert. Bei anderen standen die riesigen Türen offen, Pfeifen oder Sägegeräusche drangen aus dem Inneren, obwohl oft niemand zu sehen war. Schiffe ankerten dicht an dicht an den Liegeplätzen, robuste Handelsschiffe, die den stürmischen nördlichen Wassern trotzen konnten. Gelegentlich stakten langhaarige Männer mit bloßer Brust in kleinen Booten zwischen den Schiffen herum und warfen mir misstrauische Blicke zu. Ich versuchte es mit höflichem Grüßen, aber sie schienen Ausländer zu sein. Wie in allen Häfen, lagen auch an diesem langen Wasserarm offenbar nur verlassene Schiffe. Selbst bei Tageslicht blieben sie knarrend und leicht aneinander stoßend sich selbst überlassen. Wo waren die Besatzungen? Schlafen alle Kapitäne, Passagiere und Matrosen an Land und warten darauf, die Nacht mit Messerstechereien und lärmenden Zechgelagen zum Tag zu machen? Wenn ja, wo in Londinium waren die überfüllten Unterkünfte, in denen fröhliche Matrosen schnarchend den Tag verpennten, bis die Abendfledermäuse herauskamen?
    Hafengebiete haben eine besondere Schäbigkeit. Ich rieb ein Schienbein am anderen, versuchte die kleinen, unglaublich hartnäckigen Fliegen abzuwehren. Über den fernen Sümpfen hing ein Dunstschleier. Hier war alles ausgetrocknet wegen der Hitzewelle, aber auf dem Fluss waren regenbogenfarbene, ölige Flecken zu sehen, in denen alter Müll zwischen schmierigen Blasen schwamm. In einem Tümpel offenbar stehenden Wassers prallte ein Holzstück gegen die Pfähle. Eine langsame Gezeitenströmung trug Abfall stromaufwärts. Wenn eine aufgedunsene Leiche plötzlich an der Wasseroberfläche aufgetaucht wäre, hätte es mich nicht überrascht.
     
    Solche Gedanken bewegten den Zollbeamten nicht. Sicherlich hatte er schon Wasserleichen aus dem Fluss gefischt, aber seine Forschheit hatte er nicht verloren. Das Zollamt war neben einer der Fährenanlegestellen untergebracht, in einem Steinhaus mit Portikus, das als Brückenkopf dienen würde, sobald die Brücke gebaut war. Das Büro war voll gestopft mit Zollquittungen und Notiztafeln. Trotz des chaotischen Eindrucks wurde jeder, der eine Ladung registrieren oder Einfuhrzoll bezahlen wollte, ruhig und zügig abgefertigt. Die Unordnung war unter Kontrolle. Ein junger Kassierer hatte die Aufsicht über die Geldkassetten mit unterschiedlichen Währungen, berechnete den Steueranteil und strich das Geld schwungvoll ein.
    Eingelullt durch den ungewohnten Sonnenschein, hatte sich der Zollbeamte ohne seine Tunika zu lange braten lassen. Er war ein großer Bursche, neigte ein wenig zur Korpulenz. Seine überquellenden Speckrollen waren ursprünglich bleich gewesen, als sei er Nordländer von Geburt, waren aber jetzt vom

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