Mord in Londinium
ehrlich zu sein. Sie mochten bereits wissen, wer ich war.
Sie wechselten Blicke. Ich konnte nicht erkennen, ob sie von meiner gesellschaftlichen Stellung beeindruckt waren oder ob ihnen der Name Verovolcus etwas sagte.
»Wie fühlt es sich an, gerettet zu werden?«, höhnte eine stämmige Brünette.
»Beschissen.«
»Weil wir Frauen sind?«
»Ich brauchte keine Hilfe. Ich wäre allein zurechtgekommen.«
»Das sah von dort, wo ich stand, aber nicht so aus«, rief sie lachend. Alle glucksten. Ich grinste. »Na gut, meine Damen. Dann will ich mich mal bei euch bedanken.«
»Stell den Charme ab!«, rief der Junge, der dachte, er sei ein Mädchen (oder das Mädchen, das sich für einen Jungen hielt).
Ich zuckte nur mit der Schulter in seine (oder ihre) Richtung. »Wisst ihr, was mit dem Mädchen passiert ist, das von der alten Vettel weggezerrt wurde?«
»Sie ist in Sicherheit.« Eine hübsche, griechisch aussehende Blondine mischte sich ein. Sie hatte eine Nase, die direkt von einem athenischen Tempelperistyl stammen konnte, klang aber wie eine gewöhnliche Wellhornschneckensammlerin aus der Hafengegend.
»Jagt ihr keine Angst ein, sie hat heute schon genug mitgemacht. Sie stand unter dem Schutz meiner Frau …«
»Dann hättest du sie bei deiner Frau lassen sollen, du Perversling!«
Jetzt kapierte ich allmählich, warum sie mich ergriffen hatten: Diese hartgesottene Schwesternschaft hatte Albia verteidigt. Das war in Ordnung, aber es war unklar, ob sie mich als Frauenquäler betrachteten. »Ich habe nie versucht, sie zur Kinderprostituierten zu machen. Ich wollte sie da rausholen.«
Vielleicht hatten sie das erkannt. (Vielleicht war es ihnen egal.) Die Griechin stellte ihren Fuß auf eine Balustrade, enthüllte ein prächtiges, sauber mit Bimsstein enthaartes Bein unter einem ungesäumten Rock. Diese vielleicht unbewusste Geste ließ mich bewusst schlucken. »Sie ist jetzt bei uns.« Es würde knifflig sein, das Helena zu erklären.
»Überlegt euch das nochmal, würde ich raten. Albia ist keine Sklavin. Eine freie Bürgerin rechtswidrig in eine Gladiatorin zu verwandeln ist ein ernstes Vergehen. Man könnte euch alle zusammen mit den Verbrechern abschlachten.« Das war die Vormittagsveranstaltung in der Arena, bei der Verurteilte ihre blutige Strafe bekamen: Hauen und Stechen ohne Begnadigung. Jeder Sieger muss sofort weiterkämpfen, und der letzte Überlebende wird vom Ringaufseher auf dem durchweichten roten Sand hingemetzelt. »Außerdem«, versuchte ich es weiter, »ihr habt sie gesehen – sie ist völlig ungeeignet. Sie hat weder den Körperbau noch die Figur dazu. Ich kann euch sagen, sie besitzt keine Geschwindigkeit, keine kämpferische Intelligenz, keine Finesse in der Bewegung …«
Während ich mit Schmeicheleien um mich warf, kam von irgendwo hinter mir ironischer Beifall. Eine Stimme rief laut: »Oh, warum fügst du nicht hinzu, dass sie Plattfüße hat, kurzsichtig ist und ihre Titten ihr in den Weg kommen?« Rom! Der Akzent, die Sprache und die ganze Art versetzten mich direkten Weges nach Hause. Die Vertrautheit traf mich wie ein Schlag in den leeren Magen. Ich hatte sogar das Gefühl, die Stimme zu kennen.
Ich drehte mich um. Ich hatte die Konfrontation bisher so gut überstanden, dass ich mich entspannt fühlte. Das sollte sich ändern.
»Amazonia«, teilte mir eines der Mädchen zu meiner Linken mit. Zumindest waren diese zähen Maiden höflich. Wenn sie genug davon hatten, dicke Holzpfosten mit Übungsschwertern zu traktieren, wusch ihnen anscheinend jemand den Schweiß ab und setzte sie einer Stunde Anstandsunterricht aus.
Als mein Blick die Genannte fand, war ich überwältigt. Weit auseinander liegende braune Augen betrachteten mich amüsiert. Amazonia trug Weiß wie die anderen, ein Kontrast zu der dunklen Haut, was sehr erotisch wirkte. Ihr Haar war hochgesteckt und auf dem Kopf zu einem zwei Fuß langen, schlangenartigen Pferdeschwanz befestigt; Blütenknospen waren in die Befestigung gesteckt. Ich hatte eine hochmütige und humorlose Gruppenleiterin erwartet, die plante, mich zu demütigen. Ich fand einen kleinen Schatz mit gelenkigem Körper, einem warmen Herzen und einem zutiefst freundlichen Wesen. War das instinktives männliches Erkennen einer guten Bettgefährtin? Nein. Ich kannte diese Frau bereits. Große Götter, zu einer bestimmten Zeit in meiner fragwürdigen Vergangenheit hatte ich sie sogar sehr gut gekannt.
Sie hatte den Beruf gewechselt, seit ich sie das
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