Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mord in Londinium

Titel: Mord in Londinium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
Vom Netzwerk:
letzte Mal gesehen hatte, aber sonst nicht viel, schätzte ich. Um die Augen hatte sie zusätzliche feine Fältchen bekommen und eine Haltung abgehärteter Reife angenommen, aber alles andere war noch genau so, wie ich es im Gedächtnis hatte, und wie ich mich erinnerte, war alles am richtigen Platz. Ein Aufblitzen ihrer Augen verriet mir, dass auch sie sich an alles erinnerte. Sie war eine tripolitanische Seiltänzerin. Glaubt mir, sie war die beste Seiltänzerin, die man je gesehen hat, eine glänzende Zirkusakrobatin – und auch in anderen Dingen ebenso gut. Es gab keine Möglichkeit, wie ich Helena dieses zufällige Zusammentreffen jemals erklären konnte.
    Falls die so genannte Amazonia erstaunt war, mich zu sehen, bezweifelte ich das. Sie musste schon seit einer Weile zugehört haben. Vielleicht wusste sie genau, was für einen Mitleid erregenden Gefangenen sie hier inspizieren würde. »Danke, dass ihr auf ihn aufgepasst habt. Meine Damen – das ist Marcus! Er ist nicht so dämlich, wie er aussieht. Na ja, zumindest nicht ganz. Marcus und ich sind alte Freunde.«
    Ich wehrte mich schwach. »Wer hat sich denn diesen bescheuerten Künstlernamen ausgedacht? Amazonia? Hallo, Chloris.«
    Sie errötete. Jemand anders kicherte, aber leise. Ich spürte den Respekt. Sie war eindeutig die Anführerin – tja, das hätte ich auch nicht anders erwartet. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie mich durch die Blumenwiesen den ganzen Weg nach Elysium hätte scheuchen können.
    »Es ist lange her, Marcus, mein Liebling«, begrüßte mich das Mädchen, das ich als Chloris kannte, mit einem räuberischen Lächeln.
    Da spürte ich tief in mir die Furcht eines Mannes, der gerade eine alte Freundin wiedergetroffen hat, die er längst für Vergangenheit hielt – und der merkt, dass sie immer noch hinter ihm her ist.

XXV
     
     
     
    »Sieh an, sieh an, was für eine Freude!«, strahlte sie.
    »Hast du mich vermisst?«
    »Wieso, hab ich dich mal gekannt, oder was?«, witzelte sie.
    »Hast nie bemerkt, dass ich gegangen bin«, konterte ich entschlossen.
    »Oh, ich habe dich verlassen, mein lieber Marcus.« Wenn sie das glauben wollte, dann sollte sie. »Die Person, die ich wirklich verlassen habe, war deine böse alte Mutter.«
    »Also, hör mal, meine Mutter ist eine wunderbare Frau und mochte dich sehr gerne.«
    Chloris schaute mich an. »Ich glaube nicht«, sagte sie mit einem gefährlichen Unterton. Jetzt geht’s los, dachte ich.
    Ich war in ein Privatgemach geführt worden, ausgelegt mit sehr teuren Tierfellen. Größtenteils stark verdrückt, muss ich leider sagen. Chloris hatte immer gerne viele Plätze gehabt, auf denen man sich gemütlich räkeln konnte. Wann immer sie sich zurücklehnte, hatte sie dabei nichts Erholsames im Sinn. In diesem Raum hatten viele der Aktivitäten stattgefunden, die sie so liebte, wenn ich es recht beurteilte.
    Der Raum war sehr bedeutungsvoll ausgemalt: dunkelrote Wände, unterbrochen von schwarzen Details. Wenn man es wagte, näher hinzuschauen, erkannte man in den Darstellungen gewalttätige Mythen, in denen Menschen zerrissen oder auf Räder gebunden waren. Diese Bilder waren überwiegend winzig. Ich lenkte mich nicht zu sehr damit ab, die wild anstürmenden Bullen und verzweifelten Opfer zu betrachten; es war unbesonnen, den Blick von Chloris abzuwenden.
    »Was ist mit der Kleinen passiert?«
    »Ist wieder weggelaufen.« Zumindest war Chloris ein Mädchen, das nie Ausflüchte gemacht hatte. Das war damals das Problem gewesen: Sie hatte Mama immer genau wissen lassen, was vorging. Meine Mutter war schockiert gewesen, da ich ihr klugerweise nie etwas erzählte.
    »Du hast das Mädchen gehen lassen?« Ich zeigte meine Verärgerung. »Hör zu, wenn eine von euch sie wieder entdeckt, bringt ihr sie dann bitte in Sicherheit? Sie ist ein Straßenkind, das in Schwierigkeiten steckt. Ihr Name ist Albia. Ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.«
    »Sie rennt wahrscheinlich direkt zu dem Bordell zurück, die kleine Idiotin.« Chloris mochte leider Recht haben, nahm ich an. »Warum bist du an ihr interessiert, Falco? Ist sie eine Zeugin in deinem Fall?«
    »Der Ertrunkene?« Daran hatte ich noch nicht gedacht, obwohl es möglich war. Albia hatte sich auch in der Nähe des »Goldenen Regens« herumgetrieben und wusste vielleicht etwas. »Ich hab sie nie danach gefragt. Nein, meine Frau hat sie aufgenommen.«
    »Deine Frau ?«, kreischte Chloris. »Was? – Ist schließlich doch irgend so ein

Weitere Kostenlose Bücher