Mord in Londinium
unterstützten sie – wobei sie durch ihr ständiges Gezänk miteinander nur noch mehr Stress verursachten. Letztlich verbrachte Helena viel Zeit allein, fragte sich, wo ich war und in welcher Gefahr ich mich befand.
Helena war nicht weltfremd. Sie wusste, dass jeder Mann vom rechten Wege abkommen konnte. Sobald sie Chloris sah, musste sie gedacht haben, es sei passiert.
Ich gab zu, dass es so ausgesehen haben musste, als hätte ich das auch gedacht. Das konnte ich Helena kaum vorwerfen. Wie hätte ich voraussehen sollen, dass M. Didius Falco, berüchtigter Draufgänger und Schwerenöter, sich am Ende als braver Bub herausstellen würde?
Albia schmollte nervös. Man brauchte sich nicht einzubilden, dass die Rettung vor brutaler Prostitution das Mädchen dankbar gemacht hätte. In dem Teil meines Lebens, über den ich nie sprach, war ich Kundschafter für die Armee gewesen. Während enger Kontakte mit dem Feind, was die Stämme damals waren, hatte ich ein paar Mal mit dem abweisenden Element der britannischen Gesellschaft zu tun gehabt. Der Weiß-nicht-, Nie-davon-gehört-, Hab-nichts-gesehen-Pöbel war hier genauso aktiv wie in den verrufenen Vierteln unterhalb des Esquilin in Rom, und da sie ein erobertes Volk waren, hatten die Briten ein besonderes Recht darauf, wenig hilfsbereit zu sein. Aus Gewohnheit machten sie allen Römern das Leben schwer, oft auf sehr subtile Weise. Albia hatte das alles in sich aufgesogen.
»Albia, du und ich müssen reden.« Als ich das Mädchen ansprach, scheuchte Helena die Kinder weg. Sie hatten sich schützend um ihre zurückgekehrte Freundin geschart; ich hoffte, dass diese Unschuldslämmer keine Ahnung von Albias Abenteuer mit dem Prostitutionsring hatten. Nux, wie immer davon überzeugt, dass sie die Freude meines Herzens war, ließ Albia im Stich und sprang mir auf den Schoß. Ich hatte den Fehler gemacht, mich hinzusetzen, wollte unbedrohlich wirken. Nux’ heiße Zunge leckte eifrig in anatomischen Ritzen, die ihrer Meinung nach gewaschen werden mussten.
Albia schwieg.
»Jetzt schau doch nicht so ängstlich.« Ich verschwendete nur meinen Atem. Das Mädchen hockte ausdruckslos auf einem Schemel. »Hör auf, Nux … runter, du dämlicher Hund! Albia, neulich Abend …« Es kam mir wie zwei Wochen vor, dabei lag es erst vier Tage zurück. »Ein Mann wurde umgebracht. Im ›Goldenen Regen‹. Er wurde kopfüber in einen Brunnen gestopft. Er ertrank.«
Albia schenkte mir weiterhin nur den verletzten, leeren Blick der Verarmten. Ihr Gesicht wirkte bleicher denn je, ihre Lebensgeister wie ausgelöscht.
»Du bist hier in Sicherheit«, sagte Helena zu ihr. Nux ließ von mir ab und sauste zu Helena, kletterte ihr auf den Schoß. Helena bändigte die Hündin mit derselben Kompetenz, die sie bei unseren Kindern anwandte. »Albia, erzähl Didius Falco, ob du an dem Abend irgendwas gesehen hast.«
»Nein.« Hieß das, sie hatte nichts gesehen oder wollte nichts sagen?
Nux schaute neugierig von einem zum anderen.
»Warst du an dem Abend im ›Goldenen Regen‹ oder irgendwo in der Nähe?«, wiederholte ich.
»Nein.« Sinnlos. Ich versuchte, Mondlicht einzufangen.
Je mehr sie es abstritt, desto mehr zweifelte ich an ihren Worten. Selbst wenn verzweifelte Menschen nicht logen, hielten sie Informationen zurück. Aber wenn sie damit durchkommen konnten, logen sie. Wahrheit ist Macht. Die zu behalten gab ihnen wenigstens einen Schimmer von Hoffnung. Sie aufzugeben stellte sie vollkommen bloß.
»Albia!« Selbst Helena klang scharf. »Niemand wird dir etwas antun, wenn du darüber sprichst. Falco wird die Männer verhaften, die das getan haben.«
»Ich war nicht da.«
Trotz Albias Verschlossenheit konnte ich eines deutlich erkennen: Sie war total verängstigt.
»Tja, das war vollkommene Verschwendung.« Ich verkniff mir die Häme.
»Ich bin wirklich ärgerlich auf sie.« Zumindest gab Helena mir nicht die Schuld. »Albia ist ein dummes Mädchen.«
»Sie ist nur verängstigt. Sie hat ihr ganzes Leben lang Angst gehabt.«
»Haben wir das nicht alle?« Das von Helena zu hören war ein Schock. Ich starrte sie an. Sie tat so, als habe sie es nicht gesagt.
»Darf ich jetzt zum Spielen rausgehen?«, quengelte ich.
»Es gibt noch was zu tun, Marcus.«
»Was denn, Liebste?«
»Sich einen Anwalt anzusehen, zum Beispiel.«
»Deinen Freund Popillius?« Ich hoffte vergebens, dafür gelobt zu werden, dass ich mir den Namen gemerkt hatte.
»Ich hege keine freundschaftlichen
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