Mord in Mesopotamien
Sache beurteilen!
Nach einer Weile sagte er, er wolle nach Hause gehen, um eine Tasse Tee zu trinken, und forderte mich auf, mitzukommen. Unterwegs erklärte er mir die Ausgrabungen, und dabei wurde mir alles verständlicher. Ich sah gewissermaßen die Straßen und die Häuser; er zeigte mir Backöfen und sagte, dass die Araber noch heute in solchen Öfen ihr Brot backen.
Mrs Leidner war auch aufgestanden, als wir zu Hause ankamen; sie sah heute besser aus, viel weniger verhärmt. Dr. Leidner erzählte ihr, was am Morgen bei den Ausgrabungen zum Vorschein gekommen war, und ging nach dem Tee gleich wieder zu seiner Arbeit zurück. Mrs Leidner fragte mich, ob ich Lust hätte, mir die bisherigen Funde anzusehen. Natürlich sagte ich «ja», und so gingen wir in das Antiquitäten-Zimmer, wo allerlei Gegenstände herumlagen, hauptsächlich zerbrochene Gefäße, von denen einige bereits wieder zusammengesetzt waren.
«Wie schade», sagte ich, «dass das alles so kaputt ist. Lohnt es sich wirklich, das aufzubewahren?»
Lächelnd erwiderte sie: «Das dürfen Sie nicht vor Eric sagen. Gefäße interessieren ihn mehr als alles andere, und einige von diesen sind die ältesten, die es gibt; sie sind vielleicht siebentausend Jahre alt. Aber ich werde Ihnen jetzt etwas Interessanteres zeigen.» Sie holte eine Schachtel vom Gestell und zeigte mir einen schönen goldenen Dolch mit dunkelblauen Steinen am Griff.
Ich war begeistert.
Sie lachte. «Ja, alle lieben Gold, nur mein Mann nicht.»
«Warum nicht?»
«Erstens, weil es sehr teuer ist. Man muss den Arbeitern, die das Stück finden, das Gewicht des Gegenstandes in Gold bezahlen.»
«Mein Gott!» rief ich. «Warum?»
«Das ist so üblich; es schützt vor Diebstahl. Wenn diese Leute etwas stehlen, stehlen sie es nicht aus archäologischem Interesse, sondern wegen des Goldwertes, und sie würden ihren Fund einfach einschmelzen. So machen wir es ihnen leicht, ehrlich zu bleiben.»
Dann zeigte sie mir einen wunderschönen goldenen Trinkbecher, in den ein Widderkopf eingraviert war. Wieder war ich begeistert.
«Ja, er ist wirklich schön, er stammt aus dem Grab eines Prinzen. Wir fanden noch mehr königliche Gräber, aber die meisten waren geplündert. Dieser Becher ist unser schönster Fund, es ist das Schönste, was bisher überhaupt gefunden wurde, frühbabylonisch, ganz einmalig.»
Plötzlich betrachtete Mrs Leidner den Becher stirnrunzelnd und kratzte vorsichtig mit ihrem Nagel daran. «Wie merkwürdig! Das ist Wachs. Jemand muss mit einer Kerze hier gewesen sein.» Sie entfernte die dünne Wachsschicht und stellte den Becher wieder zurück.
Danach zeigte sie mir einige seltsame kleine Terrakottafiguren, die ich nur unanständig fand! Eine verdorbene Phantasie hatten diese Assyrier!
Als wir auf die Veranda zurückkamen, saß dort Mrs Mercado und lackierte sich die Nägel, sie hielt sie etwas von sich ab und bewunderte ihr Werk. Ich hatte noch nie etwas so Scheußliches gesehen wie das Orangerot ihrer Nägel.
Mrs Leidner hatte aus dem Antiquitäten-Zimmer ein dünnes Tonschüsselchen mitgenommen, das in mehrere Teile zerbrochen war, und versuchte, es wieder zusammenzusetzen. Nachdem ich ihr eine Weile zugesehen hatte, fragte ich, ob ich helfen könne. «Ja, gern; es gibt noch viele.» Sie holte noch ein paar zerbrochene Tongegenstände, und wir machten uns an die Arbeit. Ich begriff bald, worauf es ankam, und sie lobte meine Geschicklichkeit. Ich glaube, dass die meisten Krankenschwestern manuell begabt sind.
«Wie fleißig alle sind», sagte Mrs Mercado. «Ich komme mir schrecklich faul vor, aber ich bin auch faul.»
«Warum nicht, wenn es Ihnen Spaß macht», entgegnete Mrs Leidner gleichgültig.
Um zwölf Uhr aßen wir zu Mittag. Nach dem Essen reinigten Mr Leidner und Mr Mercado einige Gefäße, indem sie Salzsäure darübergossen. Bald zeigte einer eine schöne Pflaumenfarbe, während auf einem anderen Stierhörner zum Vorschein kamen. Es war, als hätten sie gezaubert.
Mr Carey und Mr Coleman gingen zum Ausgrabungsplatz und Mr Reiter ins Fotoatelier.
«Was hast du vor, Louise?», fragte Dr. Leidner. «Wirst du dich ein wenig hinlegen?»
Ich entnahm diesen Worten, dass sich Mrs Leidner jeden Nachmittag hinlegte.
«Ich werde mich eine Stunde ausruhen und dann vielleicht einen kleinen Spaziergang machen.»
«Gut. Schwester, Sie begleiten sie doch, nicht wahr?»
«Natürlich», sagte ich.
«Nein», wehrte Mrs Leidner ab. «Ich gehe gern allein.»
«Ich
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