Mord in Mesopotamien
überbringen.»
Er klopfte an ihre Tür und trat in das Zimmer.
Es waren, schätze ich, anderthalb Minuten verflossen, als er herauskam. Ich blickte gerade zufällig zur Tür und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Ein munterer, fröhlicher Mann war hineingegangen, und heraus kam er wie ein Betrunkener, er hielt sich kaum auf den Beinen und sah wie betäubt aus.
«Schwester…», rief er merkwürdig heiser. «Schwester…»
Ich wusste sofort, dass etwas geschehen war, so entsetzt sah er aus, sein Gesicht war grau und zuckte, ich dachte, er würde jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.
«Meine Frau …!», stieß er hervor. «Meine Frau… o Gott …!»
Ich stürzte in ihr Zimmer; mir stockte der Atem. Mrs Leidner lag zusammengekrümmt neben ihrem Bett. Ich beugte mich über sie: Sie war tot, tot und starr…! Sie musste mindestens schon eine Stunde tot sein. Die Todesursache war völlig klar… ein furchtbarer Schlag auf den Kopf, gerade über der rechten Schläfe. Sie musste vom Bett aufgestanden und dann niedergeschlagen worden sein. Ich fasste sie nicht an, sondern blickte mich suchend im Zimmer um, doch alles schien an seinem Platz zu sein, nichts war in Unordnung. Die Fenster waren geschlossen, es gab keinen Ort, wo sich der Mörder hätte verstecken können.
Er war da gewesen und jetzt längst wieder verschwunden. Ich verließ das Zimmer und machte die Tür hinter mir zu.
Dr. Leidner war nun völlig zusammengebrochen. David Emmott bemühte sich um ihn und wandte mir sein weißes Gesicht fragend zu. Mit wenigen Worten erzählte ich ihm, was geschehen war.
Er war, wie ich angenommen hatte, der richtige Mann für schwierige Situationen, völlig ruhig und beherrscht, obwohl er mich aus seinen blauen Augen entsetzt ansah. Er dachte einen Augenblick nach und sagte dann: «Wir müssen sofort die Polizei benachrichtigen. Bill wird ja jeden Augenblick zurückkommen. Doch was machen wir mit Leidner?»
«Helfen Sie mir, ihn in sein Zimmer zu bringen.»
«Zuerst wollen wir aber die Tür zuschließen», sagte er, drehte den Schlüssel von Mrs Leidners Tür um, zog ihn heraus und gab ihn mir. «Am besten nehmen Sie ihn an sich, Schwester.»
Zusammen trugen wir dann Dr. Leidner in sein Zimmer und legten ihn aufs Bett. Mr Emmott ging hinaus, um Kognak zu holen, und kam in Begleitung von Miss Johnson zurück.
Sie sah blass und erschüttert aus, war aber ruhig, so dass ich Dr. Leidner unbesorgt in ihrer Obhut lassen konnte. Als ich in den Hof trat, fuhr gerade der Kleinbus durch den Torbogen. Es war für uns alle ein Schock, Bills fröhliches rosiges Gesicht zu sehen und ihn vergnügt rufen zu hören: «Hallo, hallo! Der Zaster ist da!» Und fröhlich weiter: «Kein Straßenräuber…» Doch plötzlich hielt er inne und rief: «Was ist denn los? Ist was passiert? Ihr seht aus, als ob die Katze euren Kanarienvogel gefressen hätte.»
Mr Emmott erwiderte kurz: «Mrs Leidner ist tot… ermordet!»
«Was?» Bills vergnügtes Gesicht veränderte sich jäh. Er starrte uns an, die Augen traten ihm förmlich aus dem Kopf. «Mutter Leidner tot! Ihr wollt mich wohl verkohlen?»
«Tot?» ertönte nun ein greller Schrei. Ich wandte mich um und sah Mrs Mercado hinter mir stehen. «Mrs Leidner ist tot?»
«Ja», antwortete ich, «ermordet!»
«Nein!» keuchte sie. «Nein, das kann ich nicht glauben; wahrscheinlich hat sie Selbstmord begangen.»
«Selbstmörder schlagen sich nicht den Schädel ein», erwiderte ich trocken. «Es ist Mord, Mrs Mercado.»
Mit einem Ruck setzte sie sich auf eine umgestülpte Kiste. «Das ist ja entsetzlich… entsetzlich! »
Natürlich war es entsetzlich. Das brauchte sie uns nicht zu sagen. Ich überlegte, ob sie vielleicht Gewissensbisse wegen ihres Hasses auf die tote Frau und wegen ihrer bösartigen Äußerungen über sie empfinde. «Was werden Sie tun?», fragte sie schließlich atemlos.
Mr Emmott sagte ruhig: «Bill, du fährst am besten sofort wieder nach Hassanieh. Ich weiß nicht genau, was man tun muss. Hole Hauptmann Maitland, er ist ja der Polizeichef. Aber erst geh zu Dr. Reilly, er wird wissen, was man tun soll.»
Mr Coleman nickte. Er sah gar nicht mehr drollig aus, sondern nur jung und erschrocken. Wortlos sprang er wieder in den Wagen und fuhr davon.
Mr Emmott sagte unsicher: «Wir müssen mit der Untersuchung anfangen.» Er hob seine Stimme und rief: «Ibrahim!»
« Na’am. »
Der Hausboy kam gelaufen, und Mr Emmott sprach mit ihm Arabisch. Eine lebhafte Unterhaltung
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