Mord in Mesopotamien
natürlich nicht gesagt.»
Dr. Leidner blickte ihn unglücklich an. «Ja… das stimmt; trotzdem haben Sie Unrecht, Reilly. Bestimmt hatte jeder Louise gern.» Er schwieg einen Augenblick, dann brach es aus ihm heraus: «Dieser Gedanke ist entsetzlich, ist… unglaublich.»
«Die Tatsachen können Sie nicht bestreiten», entgegnete Hauptmann Maitland.
«Tatsachen! Tatsachen! Lügen von einem indischen Koch und von zwei Araberbengeln. Sie kennen diese Burschen ebenso gut wie ich, Reilly, und Sie auch, Maitland. Für die gibt es keine Wahrheit, die sagen aus purer Höflichkeit das, was man gern hören möchte.»
«In diesem Fall», wandte Dr. Reilly ein, «sagen sie das, was wir nicht hören wollten. Außerdem kenne ich die Gewohnheiten Ihres Personals sehr gut. Vor dem Tor haben sie so eine Art Club etabliert. Jedesmal, wenn ich am Nachmittag herauskam, saß fast die ganze Bande dort, es war sozusagen ihr Clubhaus.»
«Trotzdem vermuten Sie etwas Falsches. Warum sollte dieser Kerl… dieser Teufel… nicht schon vorher hereingekommen sein und sich irgendwo versteckt haben?»
«Ich gebe zu, dass das nicht völlig ausgeschlossen ist», erwiderte Dr. Reilly kühl. «Wenn wir annehmen, dass ein Fremder sich eingeschlichen hat, muss er sich bis zum entscheidenden Moment versteckt gehalten haben – bestimmt nicht in Mrs Leidners Zimmer, wo es kein Versteck gibt – und das Risiko eingegangen sein, beim Betreten oder Verlassen des Zimmers gesehen zu werden, da Emmott und der Boy fast die ganze Zeit im Hof gewesen waren.»
«Der Boy. Ich habe den Boy vergessen», sagte Dr. Leidner. «Ein aufgeweckter kleiner Bursche; er muss den Mörder ins Zimmer meiner Frau gehen gesehen haben, Maitland.»
«Das haben wir aufgeklärt. Er hat die ganze Zeit über Töpfe gewaschen – mit einer kurzen Unterbrechung. Gegen halb eins war Emmott – auf die Minute genau kann er es nicht sagen – etwa zehn Minuten bei Ihnen auf dem Dach gewesen. Stimmt das?»
«Ich weiß die genaue Zeit nicht, aber ungefähr wird es stimmen.»
«Diese zehn Minuten hat der Bengel benutzt, um mit den andern vor dem Tor zu schwatzen. Als Emmott herunterkam, war der Bursche nicht da, und Emmott, schimpfte ihn tüchtig aus. Soweit ich es beurteilen kann, muss Ihre Frau in diesen zehn Minuten ermordet worden sein.»
Stöhnend setzte sich Dr. Leidner und verbarg den Kopf in den Händen.
«Das stimmt mit meinen Feststellungen überein», erklärte Dr. Reilly. «Sie war ungefähr drei Stunden tot, als ich sie untersuchte. Die Frage aber bleibt: Wer war der Täter?»
«Ich muss mich Ihren Beweisen beugen, Reilly», sagte Dr. Leidner, der sich wieder aufgerichtet hatte, ruhig und fuhr sich über die Stirn. «Es scheint wirklich, als hätten Sie Recht. Aber irgendwo muss ein Fehler stecken. Irgendwo muss es eine Lücke geben. Sie nehmen an, dass sich ein erstaunlicher Zufall ereignet hat.»
«Merkwürdig, dass Sie gerade dieses Wort gebrauchen», sagte Dr. Reilly.
Ohne sich beirren zu lassen, sprach Dr. Leidner weiter: «Meine Frau erhält Drohbriefe. Sie hat Grund, einen gewissen Menschen zu fürchten. Sie wird… ermordet. Und da soll ich glauben, dass sie nicht von diesem Menschen, sondern von einem ganz andern ermordet wurde… das ist lächerlich.»
«So scheint es», sagte Dr. Reilly nachdenklich und blickte zu Maitland. «Zufall? Was sagen Sie dazu, Maitland? Halten Sie etwas von meiner Idee? Sollen wir Leidner fragen?»
Hauptmann Maitland nickte.
«Haben Sie je von einem Mann namens Hercule Poirot gehört, Leidner?»
Dr. Leidner starrte ihn verblüfft an. «Ich glaube, ich habe den Namen schon gehört. Mr van Alden schwärmte von ihm. Das ist doch ein Privatdetektiv?»
«Ja.»
«Aber er lebt doch wahrscheinlich in London, wie kann er uns da helfen?»
«Er lebt in London, das stimmt, aber das ist eben der Zufall, dass er zurzeit nicht in London, sondern in Syrien ist und morgen, auf der Durchreise nach Bagdad, nach Hassanieh kommt.»
«Woher wissen Sie das?»
«Von Jean Bérat, dem französischen Konsul. Er war gestern abend bei uns zum Essen und erzählte, dass Poirot in Syrien irgendeinen Fall aufgedeckt hat und auf der Heimreise einige Tage in Bagdad verbringen will. So kommt er hier vorbei. Ist das nicht ein merkwürdiger Zufall?»
Dr. Leidner zögerte einen Augenblick und sah Hauptmann Maitland fragend an. «Was meinen Sie dazu, Maitland?»
«Ich würde es begrüßen», antwortete der Hauptmann prompt. «Meine Leute sorgen gut für
Weitere Kostenlose Bücher