Mord in Mesopotamien
Wer konnte offensichtlich weder Frederick noch William sein?»
«Die Frauen.»
«Natürlich, Miss Johnson und Mrs Mercado scheiden aus. Wer noch?»
«Carey. Wir arbeiten schon seit Jahren zusammen, lange bevor ich Louise kennen lernte…»
«Und er hat auch das falsche Alter. Er wird Ende dreißig sein, ist also zu jung für Frederick und zu alt für William. Nun die Übrigen: Pater Lavigny und Mr Mercado könnten Frederick Bosner sein.»
«Aber Monsieur Poirot», rief Dr. Leidner halb empört, halb amüsiert, «Pater Lavigny ist in der ganzen Welt als Keilschriftforscher bekannt, und Mercado hat jahrelang in einem bekannten New Yorker Museum gearbeitet. Es ist unmöglich, dass einer von den beiden der Gesuchte sein könnte.»
«Unmöglich … unmöglich… Ich halte nichts von diesem Wort», widersprach Poirot. «Das Unmögliche prüfe ich stets sehr genau. Aber wir wollen weitersehen. Wen gibt es noch? Carl Reiter, ein junger Mann mit einem deutschen Namen, dann David Emmott…»
«Er arbeitet schon das zweite Jahr bei mir.»
«Er ist ein sehr geduldiger junger Mann. Wenn er ein Verbrechen plante, würde er es nicht überstürzt tun. Alles wäre gut vorbereitet.»
Dr. Leidner machte eine resignierte Handbewegung.
«Und schließlich William Coleman», fuhr Poirot fort.
«Er ist Engländer.»
« Pourquoi pas? Hatte nicht Mrs Leidner gesagt, dass der Junge Amerika verlassen habe und man nicht wisse, wohin er gegangen sei? Warum nicht nach England?»
«Sie haben auf alles eine Antwort», erwiderte Dr. Leidner.
Ich überlegte scharf. Von Anfang an war mir Mr Coleman wie eine Figur aus einem Witzblatt erschienen. Sollte er die ganze Zeit über Komödie gespielt haben?
Poirot schrieb etwas in sein Notizbuch. «Wir wollen methodisch vorgehen», sagte er. «Zunächst haben wir Pater Lavigny und Mr Mercado, dann Coleman, Emmott und Reiter. Jetzt wollen wir das Problem einmal von einer anderen Seite aus angehen: Mittel und Möglichkeiten. Wer von den Expeditionsmitgliedern hätte die Mittel und Möglichkeiten gehabt, den Mord zu begehen? Carey war auf dem Ausgrabungsplatz, Coleman in Hassanieh, Sie waren auf dem Dach. Es bleiben Pater Lavigny, Mr Mercado, Mrs Mercado, David Emmott, Carl Reiter, Miss Johnson und Schwester Leatheran.»
«Oh!» rief ich empört und sprang auf.
Monsieur Poirot zwinkerte mir zu. «Ja, es tut mit Leid, ma súur, aber es wäre für Sie eine Kleinigkeit gewesen, zu Mrs Leidner ins Zimmer zu gehen und sie umzubringen, während der Hof leer war. Sie sind kräftig, und sie hätte bis zum Moment des Schlags keinen Verdacht geschöpft.»
Ich war so außer mir, dass ich kein Wort hervorbringen konnte. Dr. Reilly blickte, wie ich feststellte, höchst amüsiert drein. «Interessanter Fall: Eine Krankenschwester, die ihre Patienten einen nach dem andern umbringt», murmelte er. Ich warf ihm einen entrüsteten Blick zu.
Dr. Leidners Gedanken waren einen anderen Weg gegangen. «Nicht Emmott, Monsieur Poirot», warf er ein, «ihn können Sie nicht mitzählen, er war in den fraglichen zehn Minuten bei mir auf dem Dach.»
«Wir können ihn trotzdem nicht ausschalten. Er konnte in den Hof gehen, in Mrs Leidners Zimmer eilen, sie ermorden und dann den Boy zurückrufen. Oder er könnte sie in den Minuten umgebracht haben, da er den Boy zu Ihnen aufs Dach gesandt hatte. »
Dr. Leidner schüttelte den Kopf. «Was für ein grauenhafter Gedanke! Unvorstellbar!»
Zu meiner Überraschung stimmte Poirot zu. «Ja, es ist ein Mord, wie er nicht oft vorkommt. Im Allgemeinen ist Mord eine schmutzige, gemeine Sache… einfach, primitiv. Doch das ist ein ungewöhnlicher Mord… ich vermute, Herr Dr. Leidner, dass Ihre Frau eine ungewöhnliche Frau war.»
Er hatte den Nagel so präzise auf den Kopf getroffen, dass ich hochschreckte.
«Stimmt es, Schwester?», fragte er.
Dr. Leidner sagte ganz ruhig: «Schwester, schildern Sie ihm Louise, bitte. Sie sind unvoreingenommen.»
«Sie war entzückend», sagte ich. «Man musste sie einfach gern haben und ihr Gefälligkeiten erweisen. Ich habe noch nie einen solchen Menschen kennen gelernt.»
«Ich danke Ihnen», sagte Dr. Leidner und lächelte mir schmerzlich zu.
«Das ist das wertvolle Zeugnis eines objektiven Menschen», sagte Poirot freundlich. «Aber wir wollen weitermachen. Unter der Rubrik Mittel und Möglichkeiten haben wir sieben Namen: Schwester Leatheran, Miss Johnson, Mrs Mercado, Mr Mercado, Mr Reiter, Mr Emmott und Pater Lavigny.»
Er räusperte
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