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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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vielleicht der Verstand meiner Frau gelitten habe, weil sie zu viel über ihre Vergangenheit gegrübelt hatte. Ich dachte auch, dass sie vielleicht die Briefe an sich selbst geschrieben hatte, ohne es zu wissen. So etwas gibt es doch?», fragte er Dr. Reilly.
    «Das menschliche Gehirn ist zu fast allem fähig», antwortete dieser ausweichend und warf Poirot einen warnenden Blick zu, der daraufhin diesen Punkt fallen ließ.
    «Die Briefe sind sehr interessant», stellte Poirot fest, «doch wir müssen den Fall als Ganzes im Auge behalten. Es gibt, soweit ich sehe, auch hier drei Möglichkeiten.»
    «Drei?»
    «Ja. Möglichkeit eins ist die einfachste: Der erste Mann Ihrer Frau lebt noch. Erst droht er ihr, dann schreitet er zur Tat. Wenn wir diese Erklärung akzeptieren, müssen wir feststellen, wie er ins Zimmer hinein- und wieder herauskommen konnte, ohne gesehen zu werden.
    Zweite Möglichkeit: Mrs Leidner schreibt sich aus Gründen, die eher von einem Arzt als von einem Laien verstanden werden können, selbst die Drohbriefe und hat auch die Sache mit dem Gas angezettelt – sie war es ja auch, die das Gas zuerst gerochen hatte. Doch wenn Mrs Leidner die Briefe selbst geschrieben hat, kann der vermeintliche Briefschreiber sie nicht in Gefahr gebracht haben. Dann müssen wir den Mörder anderswo suchen, und zwar unter den Mitgliedern der Expedition. Jawohl», wehrte er Dr. Leidners widersprechendes Murmeln ab, «das ist die einzig mögliche Erklärung. Aus Hass hat einer von Ihnen sie ermordet. Der Betreffende wusste wahrscheinlich von der Existenz der Briefe oder wusste, dass Mrs Leidner vor etwas Angst hatte oder vorgab, vor etwas Angst zu haben. Diese Tatsache gewährleistete dem Mörder eine gewisse Sicherheit. Er war überzeugt, dass man den Mord dem mysteriösen Fremden zuschieben würde – dem Schreiber der Drohbriefe.
    Eine andere Variante dieser Möglichkeit ist, dass der Mörder diese Briefe selbst schrieb, da er Mrs Leidners Vergangenheit kannte. Doch in diesem Falle wäre es nicht klar, warum der Mörder Mrs Leidners Handschrift nachahmte, da es, soweit wir es bisher beurteilen können, für ihn oder für sie besser wäre, wenn die Briefe von einem Außenstehenden stammten.
    Die dritte Möglichkeit ist für meinen Begriff die interessanteste: Die Briefe könnten echt sein und könnten von Mrs Leidners erstem Mann oder von seinem jüngeren Bruder stammen, der, wer es auch sei, ein Expeditionsmitglied ist. »

16
     
    D r. Leidner sprang auf. «Das ist völlig ausgeschlossen! Das ist doch lächerlich!» Poirot blickte ihn schweigend an. «Sie wollen behaupten, dass der frühere Mann meiner Frau ein Mitglied der Expedition ist, dass sie ihn aber nicht erkannt hatte? »
    «Jawohl. Bedenken Sie die Tatsachen. Vor etwa fünfzehn Jahren lebte Ihre Frau einige Monate mit dem Mann zusammen. Würde sie ihn nach so langer Zeit wiedererkennen? Ich glaube es nicht. Sein ganzes Äußeres wird sich verändert haben, vielleicht die Stimme nicht, aber die kann er leicht verstellen. Vor allem aber vermutete sie ihn nicht in ihrem Heim, sie vermutete ihn unter Fremden. Nein, ich glaube, sie hätte ihn nicht erkannt. Und dann gibt es noch eine Möglichkeit – der jüngere Bruder. Das Kind von damals, das den älteren Bruder leidenschaftlich liebte, ist jetzt ein Mann. Würde sie in einem Mann von etwa dreißig Jahren das zehn- bis zwölfjährige Kind von damals wiedererkennen? Ja, man muss mit dem jungen William Bosner rechnen. In seinen Augen war sein Bruder kein Verräter, sondern ein Patriot, ein Märtyrer für sein Vaterland – Deutschland, und Mrs Leidner ist die Verräterin, das Ungeheuer, das seinen geliebten Bruder in den Tod geschickt hat. Ein empfindsames Kind ist großer Heldenverehrung fähig und stärker von einer Idee besessen als ein Erwachsener.»
    «Das ist wahr», sagte Dr. Reilly. «Die allgemeine Ansicht, dass ein Kind schnell vergisst, stimmt nicht. Viele Menschen werden ihr ganzes Leben lang von einem Eindruck verfolgt, der sich ihnen in jungen Jahren eingeprägt hat.»
    « Bien. Man muss also zwei Möglichkeiten in Betracht ziehen: Frederick Bosner, ein Mann von etwa fünfzig, und William Bosner, ein Mann von knapp dreißig Jahren. Wir wollen die Mitglieder der Expedition von diesem Gesichtspunkt aus betrachten.»
    «Das ist doch absurd», murmelte Dr. Leidner, «meine Leute! Die Mitglieder der Expedition!»
    «Und daher über jeden Verdacht erhaben», entgegnete Poirot trocken. «Fangen wir an!

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