Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
übernervös waren, sprangen wir erschrocken auf; Miss Johnson wurde totenblass und rief: «Was war das? Was ist passiert?»
    Mrs Mercado starrte sie an und fragte: «Was haben Sie denn? Das war doch nur ein Geräusch von draußen auf dem Feld.»
    In diesem Augenblick traten Poirot und Pater Lavigny ein.
    «Wir dachten, jemand habe sich verletzt», sagte Miss Johnson.
    «Entschuldigen Sie bitte vielmals, Mademoiselle», entgegnete Poirot, «es war meine Schuld. Pater Lavigny zeigte mir Keilschrifttafeln. Ich ging mit einer zum Fenster, um sie besser betrachten zu können, und stieß mich dabei am Fuß. Es tat mir so weh, dass ich einen Schrei ausstieß.»
    «Und wir dachten schon, es sei wieder ein Mord passiert», rief Mrs Mercado lachend.
    «Marie!» ermahnte ihr Mann sie vorwurfsvoll, dass sie, rot werdend, sich auf die Lippen biss.
    Miss Johnson brachte das Gespräch schnell auf die Ausgrabungsfunde des Morgens, und während des ganzen Essens wurden nur archäologische Dinge besprochen, was das harmloseste war.
    Nach dem Kaffee gingen wir für eine Weile ins Wohnzimmer, und dann begaben sich alle Herren wieder zum Ausgrabungsplatz, außer Pater Lavigny, der Poirot und mich in das Antiquitäten-Zimmer führte. Ich kannte die Sachen nun schon sehr gut und war stolz auf sie – fast als gehörten sie mir. Der Pater zeigte uns zunächst den goldenen Becher, und Poirot rief entzückt aus: «Wie herrlich! Was für ein Kunstwerk!»
    Pater Lavigny machte nun mit großer Sachkenntnis auf die künstlerischen Einzelheiten aufmerksam.
    «Heute ist kein Wachs dran», sagte ich.
    «Wachs?», wiederholte Poirot und blickte mich erstaunt an.
    «Wachs?», rief Pater Lavigny.
    Ich erklärte, was es mit meiner Bemerkung für eine Bewandtnis hatte.
    «Ah, je comprends » , sagte Pater Lavigny, «natürlich Kerzenwachs.»
    So kam die Rede auf den nächtlichen Besucher. Da die beiden Herren, mich vergessend, französisch weitersprachen, verließ ich sie und ging ins Wohnzimmer, wo Mrs Mercado die Socken ihres Mannes stopfte und Miss Johnson ein Buch las, was ungewöhnlich war, da sie meist fleißig arbeitete.
    Nach einer kleinen Weile kamen Poirot und Pater Lavigny zurück. Pater Lavigny entschuldigte sich mit Arbeit, während sich Poirot zu uns setzte.
    «Ein sehr interessanter Mensch», sagte er und fragte, ob der Pater viel zu tun hätte.
    Miss Johnson erklärte, dass man nur wenige Keilschrifttafeln und Zylindersiegel gefunden habe, dass sich Pater Lavigny aber an den Ausgrabungsarbeiten beteilige und eifrig bemüht sei, das in der Gegend vom Volk gesprochene Arabisch zu erlernen.
    Dann zeigte sie uns einige Abdrücke von Siegeln, die sie auf Plastilinplatten gemacht hatte. Während wir sprachen, sah ich, dass Poirot mit den Fingern eine kleine Plastilinkugel rollte und knetete. «Brauchen Sie viel Plastilin, Mademoiselle?», erkundigte er sich.
    «Ziemlich viel, besonders dieses Jahr, obwohl ich mir das gar nicht erklären kann; die Hälfte unseres Vorrats ist schon aufgebraucht.»
    «Wo bewahren Sie es auf, Mademoiselle?»
    «In dem Schrank dort.»
    Während sie die Platten mit den Abdrücken in den Schrank legte, zeigte sie ihm das Regal, auf dem die Plastilinrollen, das Klebematerial und Papier aufbewahrt wurden.
    «Und das… was ist das, Mademoiselle?», fragte er und holte einen merkwürdig zerdrückten Gegenstand hervor. Er glättete ihn, und wir sahen, dass es eine Art Maske war, mit grob aufgemalten Augen und Mund und völlig mit Plastilin verschmiert.
    «Wie merkwürdig!» rief Miss Johnson. «Ich habe das noch nie gesehen. Wie kommt es dahin? Und was ist es überhaupt?»
    «Wie es dahinkommt?», wiederholte Poirot. «Ein Versteck ist so gut wie ein anderes, und ich vermute, dass dieser Schrank erst am Schluss des Arbeitsjahres ausgeräumt worden wäre. Und wozu die Maske diente, ist leicht zu erklären: Das ist das Gesicht, das Mrs Leidner b e schrieb. Das gespenstische Gesicht, das sie im Halbdunkel an ihrem Fenster gesehen hat… ohne den dazugehörigen Körper.»
    Mrs Mercado stieß einen leisen Schrei aus.
    Miss Johnson war leichenblass geworden und murmelte: «Sie hat es sich also nicht eingebildet. Es war ein Streich… ein gemeiner Streich! Aber wer hat ihn verübt?»
    «Ja», schrie Mrs Mercado, «wer kann so etwas Gemeines getan haben?»
    Poirot gab keine Antwort. Mit grimmigem Gesicht ging er ins Nebenzimmer, kehrte mit einem leeren Karton zurück und legte die Maske hinein. «Das muss die Polizei sehen»,

Weitere Kostenlose Bücher