Mord in Mesopotamien
stimmte, und ich bin sicher, dass auch Mr Mercado keinen Verdacht geschöpft hatte. Poirot musste rasch wie der Blitz gehandelt haben.
«Aber warum haben Sie das getan, Monsieur Poirot?»
Er antwortete mit einer Gegenfrage: «Haben Sie nichts festgestellt, Schwester?»
Ich nickte. «Spuren einer Injektionsspritze.»
«Jetzt wissen wir etwas mehr über Mr Mercado», erklärte er. «Ich vermutete es… wusste es aber nicht bestimmt. Und es ist immer nötig, zu wissen. »
Und wie du zu deinem Wissen kommst, ist dir egal, dachte ich, behielt es aber für mich.
Er suchte in seiner Tasche. «Ach, ich habe mein Taschentuch verloren, die Nadel war darin eingewickelt.»
«Ich hole es», sagte ich und eilte zurück. Allmählich hatte ich Vertrauen zu Monsieur Poirot gefasst, denn er wusste offensichtlich genau, was er wollte und was er tat. Und ich hatte das Gefühl, dass es meine Pflicht sei, ihm zu helfen. Daher war es für mich selbstverständlich, sein Taschentuch zu holen, so wie ich einem Arzt, dem ich assistiere, das Handtuch, das er auf den Boden fallen lässt, aufhebe.
Ich fand das Taschentuch, aber als ich zurückkam, sah ich ihn nirgends. Schließlich entdeckte ich ihn auf einer niederen Mauer neben Mr Carey sitzend.
Ich hatte das Gefühl, dass Monsieur Poirot mich das Taschentuch hatte holen lassen, um allein mit Mr Carey zu sprechen, und ich möchte nun ausdrücklich Folgendes erklären: Ich nahm nicht einen Augenblick an, Monsieur Poirot habe verhindern wollen, dass ich sein Gespräch mit Mr Carey höre, sondern ich war überzeugt, dass er hoffte, Mr Carey leichter zum Sprechen zu bringen, wenn ich nicht dabei wäre.
Es soll aber niemand glauben, dass ich zu den Frauen gehöre, die Privatgespräche belauschen. Das würde ich nie tun, auch wenn es mich noch so sehr interessierte.
Da es sich in diesem Fall aber nicht um ein Privatgespräch handelte, hielt ich mich für verpflichtet, zuzuhören. Als Operationsschwester erlebt man es häufig, dass Patienten in der Narkose Dinge sagen, die eigentlich nicht für fremde Ohren bestimmt sind. Ich sah Mr Carey einfach als einen Patienten an, was ihm ja nicht wehtat, da er keine Ahnung davon hatte. Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass ich auch neugierig war, ich wollte mir von dieser Unterhaltung nichts entgehen lassen.
So schlich ich von hinten an die beiden Herren heran und bezog ungesehen in einer kleinen Vertiefung Stellung.
«Niemand weiß Dr. Leidners Liebe zu seiner Frau besser zu würdigen als ich», hörte ich gerade Poirot sagen, «aber oft erfahrt man mehr über einen Menschen durch seine Feinde als durch seine Freunde.»
«Sie meinen, dass die Fehler eines Menschen wichtiger sind als seine Vorzüge?», fragte Mr Carey trocken und ironisch.
«Zweifellos… wenn es zu einem Mord kommt. Soviel ich weiß, ist noch kein Mensch ermordet worden, weil er einen zu guten Charakter hatte!»
«Ich fürchte, ich bin nicht der geeignete Mensch, um Ihnen eine Auskunft zu erteilen», erklärte Mr Carey. «Ehrlich gesagt, stand ich mit Mrs Leidner nicht allzu gut. Wir waren nicht etwa Feinde, aber auch keine Freunde. Mrs Leidner war vielleicht etwas eifersüchtig auf meine alte Freundschaft mit ihrem Mann. Und ich, obwohl ich sie sehr schätzte und sie anziehend fand, nahm ihr ihren Einfluss auf Leidner etwas übel. Wir waren daher höflich miteinander, aber nicht vertraut.»
«Hervorragend ausgedrückt», sagte Poirot.
Ich konnte ihre Köpfe sehen und bemerkte, dass Mr Carey ihn scharf anblickte, als ob ihm etwas in seinem Ton nicht gefiele. Monsieur Poirot fuhr fort: «War es Dr. Leidner nicht unangenehm, dass Sie und seine Frau nicht gut miteinander auskamen?»
Nach kurzem Zögern antwortete Carey: «Das weiß ich nicht. Ich hoffte, er würde es nicht merken, da er ja sehr in seine Arbeit vertieft war.»
«Also, jedenfalls mochten Sie Mrs Leidner nicht?»
Carey zuckte die Achseln. «Ich hätte sie vielleicht gern gehabt, wenn sie nicht Leidners Frau gewesen wäre.» Er lachte, als amüsierte ihn diese Feststellung.
«Ich sprach vorhin mit Miss Johnson», sagte Poirot wie gedankenverloren und scharrte ein Häufchen Tonscherben zusammen. «Sie gab zu, Mrs Leidner gegenüber voreingenommen gewesen zu sein und sie nicht gemocht zu haben, obwohl Mrs Leidner, wie sie ebenfalls zugab, immer reizend zu ihr war.»
«Das stimmt», bestätigte Carey.
«Das habe ich mir gedacht. Dann hatte ich eine Unterhaltung mit Mrs Mercado. Sie erzählte mir des Langen
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