Mord in Mesopotamien
erklärte er.
«Es ist grauenhaft», flüsterte Miss Johnson, «grauenhaft.»
«Glauben Sie, dass hier noch etwas versteckt ist?», rief Mrs Mercado schrill. «Vielleicht die Waffe… die Keule, mit der sie ermordet wurde… blutverschmiert… Oh! Ich fürchte mich so …»
Miss Johnson packte sie an den Schultern. «Seien Sie ruhig!», befahl sie. «Dr. Leidner kommt! Wir dürfen ihn nicht aufregen.»
Gerade in diesem Augenblick war der Wagen in den Hof gefahren. Dr. Leidner stieg aus und kam direkt ins Wohnzimmer. Er sah übermüdet und doppelt so alt wie vor drei Tagen aus. Ruhig erklärte er: «Die Beerdigung findet morgen um elf Uhr statt. Major Deane wird die Trauerrede halten.»
Mrs Mercado stotterte etwas und eilte aus dem Zimmer.
Dr. Leidner fragte Miss Johnson: «Sie kommen doch, Anne?»
«Selbstverständlich», antwortete sie liebevoll. «Wir kommen alle.»
Sein Gesicht leuchtete vor Zuneigung und Dankbarkeit auf. «Liebe Anne», sagte er, «Sie geben mir so viel Trost, und Sie sind eine so große Hilfe für mich. Ich danke Ihnen. Sie sind wirklich eine wahre Freundin.»
Er legte ihr die Hand auf den Arm. Sie wurde rot vor Verlegenheit, aber ich wusste, dass Anne Johnson für einen Augenblick eine glückliche Frau war.
Dr. Leidner begrüßte dann Poirot und fragte ihn, ob seine Nachforschungen Fortschritte gezeitigt hätten. Miss Johnson, die hinter Dr. Leidner stand, deutete auf den Karton in Poirots Hand und schüttelte dann den Kopf. Ich begriff, dass sie Poirot veranlassen wollte, nichts von der Entdeckung der Maske zu sagen. Sie war sicherlich der Ansicht, dass Dr. Leidner an diesem Tag schon genug Schweres durchgemacht habe. Poirot erfüllte ihr den Wunsch.
«Es geht nur sehr langsam, Monsieur», antwortete er und verabschiedete sich bald. Ich begleitete ihn zum Wagen.
Ich wollte Poirot so vieles fragen, doch als er mich ansah, schwieg ich und wartete bescheiden auf seine Instruktionen, als stünde ich vor einem berühmten Chirurgen, der im Begriff ist, eine schwierige Operation vorzunehmen, bei der ich assistieren soll.
Zu meiner Überraschung sagte er: «Seien Sie vorsichtig, Schwester. Ich glaube, es wäre überhaupt das Beste für Sie, wenn Sie möglichst bald von hier fortgingen.»
«Ich will mit Dr. Leidner darüber sprechen», entgegnete ich, «aber ich möchte bis nach dem Begräbnis warten.»
«Inzwischen hüten Sie sich davor, zu viel ausfindig zu machen. Ich möchte nicht, dass Sie zu viel erfahren. Sie sollen nur die Watte halten, während ich die Operation ausführe.»
War es nicht merkwürdig, dass er diesen Vergleich gebrauchte?
Dann sagte er, ohne jeden Zusammenhang: «Ein interessanter Mensch, dieser Pater Lavigny.»
«Ich finde es sehr merkwürdig, dass ein Mönch Archäologe ist.»
«Ach, Sie sind ja Protestantin. Ich bin ein guter Katholik und kenne mich mit Priestern und Mönchen aus.» Er hielt inne und überlegte stirnrunzelnd, dann sagte er: «Vergessen Sie nicht, dass er sehr klug ist und versuchen wird, Sie auszuhorchen… seien Sie also besonders ihm gegenüber vorsichtig.»
Ich fand diese Warnung überflüssig.
23
D as Begräbnis war sehr ergreifend. Außer uns nahmen sämtliche Engländer aus Hassanieh daran teil. Selbst Sheila Reilly war gekommen, sie sah schlicht und bescheiden aus in dunklem Rock und Mantel. Ich hoffte, dass sie sich Vorwürfe machte wegen der gehässigen Dinge, die sie über die Tote gesagt hatte.
Als wir nach Hause zurückkamen, sprach ich mit Doktor Leidner über meine Abreise. Er war äußerst liebenswürdig, dankte mir für alles, was ich getan hatte (getan! Ich hatte meine Aufgabe ja nicht erfüllt), und bestand darauf, dass ich noch für eine Woche Gehalt annähme.
Ich widersprach, weil ich der Ansicht war, dass ich es nicht verdient hatte. «Aber Dr. Leidner, ich möchte kein Gehalt annehmen. Vergüten Sie mir nur meine Reisespesen, mehr brauche ich nicht.»
Doch davon wollte er nichts wissen.
«Ich finde», erklärte ich, «dass ich es nicht verdient habe. Ich meine… ich habe versagt. Obwohl ich hier war, habe ich Mrs Leidner nicht gerettet.»
«Reden Sie sich nichts ein, Schwester», entgegnete er. «Ich hatte Sie ja nicht als Detektiv engagiert. Ich hatte mir nicht im Traum vorgestellt, dass das Leben meiner Frau in Gefahr sei, ich habe alles ihren Nerven zugeschrieben und angenommen, sie rede sich alles ein. Sie haben getan, was Sie konnten. Meine Frau schätzte Sie sehr und hatte Vertrauen zu Ihnen. Und ich
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