Mord in Mesopotamien
Schmuckkasten, der nur einen Perlenring, eine Brillantbrosche, eine kleine Perlenkette, ein paar glatte Goldbroschen und eine große Bernsteinkette enthielt.
Natürlich wollte ich weder die Perlen noch die Brillanten nehmen, schwankte aber zwischen der Bernsteinkette und der Schildpattgarnitur. Schließlich sah ich nicht ein, warum ich nicht wirklich die Garnitur wählen sollte. Wenn ich es nicht täte, wäre es falscher Stolz von mir. Es hatte sonst niemand ein Anrecht darauf, und zudem hatte ich ja Mrs Leidner wirklich sehr gern gehabt.
Nachdem alles eingepackt war, sah der Raum leer und verloren aus. Ich hatte hier nichts mehr zu suchen, und dennoch hielt mich etwas in dem Zimmer zurück. Mir war, als hätte ich hier noch eine Aufgabe, als müsste ich noch etwas sehen oder feststellen. Ich bin nicht abergläubisch, aber mir kam der Gedanke, dass Mrs Leidners Geist im Raum weile und mit mir Verbindung aufnehmen wolle.
Mit einem unbehaglichen Gefühl ging ich im Zimmer umher und berührte dies und das. Doch es waren ja nur noch die kahlen Möbel da, alles war durchsucht, nirgends konnte etwas versteckt sein. Schließlich tat ich etwas sehr Merkwürdiges. (Es hört sich wie unsinnig an, aber die Ereignisse der letzten Tage konnten ja den normalsten Menschen aufwühlen.)
Ich legte mich aufs Bett und schloss die Augen. Ich versuchte zu vergessen, wer und was ich war, und mich an jenen verhängnisvollen Nachmittag zurückzuversetzen. Ich war Mrs Leidner, die hier lag und sich friedlich und ahnungslos ausruhte.
Ich bin ein völlig normaler Mensch und glaube nicht an Gespenster, aber ich muss sagen, dass ich, nachdem ich fünf Minuten so dalag, das Gefühl hatte, ein Geist sei im Zimmer.
Ich wehrte mich nicht gegen dieses Gefühl, ich bestärkte mich darin, ich sagte zu mir: «Ich bin Mrs Leidner. Ich bin Mrs Leidner. Ich liege hier… im Halbschlaf. Bald… sehr bald… wird die Tür aufgehen.» Ich sagte das wieder und wieder, als würde ich mich selbst hypnotisieren.
«Es ist halb eins… gerade die Zeit… die Tür wird aufgehen… die Tür wird aufgehen… ich werde sehen, wer hereinkommt…»
Ich hielt die Augen starr auf die Tür gerichtet. Jetzt wird sie aufgehen… jetzt wird sie aufgehen… ich werde den Menschen sehen, der hereinkommt…
Und dann sah ich wirklich, dass die Tür langsam aufging.
Es war grauenhaft. Ich habe so etwas Grauenhaftes noch nie erlebt.
Langsam… langsam ging sie auf… lautlos… weiter und weiter… und seelenruhig trat Bill Coleman ein…
Er muss sich zu Tode erschreckt haben.
Ich sprang mit einem Schrei vom Bett auf und starrte ihn entsetzt an.
Er stand wie versteinert da, sein rosiges Gesicht war noch rosiger geworden, den Mund hatte er vor Überraschung sperrangelweit aufgerissen.
«Hallo… hallo!» stotterte er schließlich. «Was… was machen Sie denn hier?»
«Mein Gott, Mr Coleman, haben Sie mich erschreckt!»
«Das tut mir Leid.» Nun grinste er verlegen.
Ich sah, dass er ein Sträußchen der scharlachroten Ranunkeln, die Mrs Leidner so sehr geliebt hatte, in der Hand hielt.
Er wurde nun puterrot und erklärte: «Es ist so schwer, in Hassanieh Blumen aufzutreiben, und ich finde ein Grab ohne Blumen furchtbar. So wollte ich wenigstens ein paar Blumen hier in die Vase auf den Tisch stellen, weil Mrs Leidner immer welche hatte. Als Zeichen, dass man sie nicht vergessen hat. Etwas albern, nicht… ich weiß es… aber…»
Ich fand es sehr nett von ihm und sagte es ihm auch. Er war vor Verlegenheit ganz rot, wie alle Engländer, wenn sie etwas Sentimentales tun. Dann füllte ich die Vase mit Wasser und stellte die Blumen hinein.
Ich hielt jetzt viel mehr von Mr Coleman als bisher; er zeigte, dass er Gefühl hatte.
Im Hof traf ich etwas später Pater Lavigny, der liebenswürdigerweise sagte, wie sehr er meine bevorstehende Abreise bedaure; mein Frohsinn und mein gesunder Menschenverstand seien für sie alle eine große Hilfe gewesen. Gesunder Menschenverstand! Ein Glück, dass er nicht wusste, wie albern ich mich in Mrs Leidners Zimmer aufgeführt hatte.
«Monsieur Poirot war ja heute gar nicht da», bemerkte er dann.
Ich sagte ihm, dass Poirot mir mitgeteilt habe, er werde den ganzen Tag über Telegramme verschicken.
Pater Lavigny hob die Brauen. «Telegramme? Nach Amerika?»
«Ich glaube. Er sagte ‹in die ganze Welt›, aber ich nehme an, dass das eine für einen Ausländer typische Übertreibung ist.» Dann errötete ich, weil mir einfiel, dass der
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