Mord in Mesopotamien
und Breiten, wie sehr sie Mrs Leidner geliebt habe.»
Carey schwieg, und nach ein paar Sekunden fuhr Poirot fort: «Das… glaube ich nicht. Und nun spreche ich mit Ihnen, und das, was Sie mir sagen… ja… das glaube ich auch nicht… »
Carey erwiderte – und es klang wütend: «Was Sie glauben oder nicht glauben, ist mir gleich, Monsieur Poirot, Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt. Halten Sie davon, was Sie wollen!»
«Für meine Ungläubigkeit kann ich nichts», entgegnete Poirot sanft. «Wissen Sie, ich habe ein sehr feines Ohr, und es sind Gerüchte im Umlauf… man hört sie… man erfährt manches dadurch! Ja, es gibt Geschichten…»
Carey sprang auf. Ich konnte deutlich erkennen, wie eine kleine Ader an seiner Schläfe hervortrat. Er sah fabelhaft aus; kein Wunder, dass die Frauen ihm gegenüber schwach wurden. «Was für Geschichten?» fragte er wild.
«Vielleicht können Sie es sich denken. Die üblichen Geschichten… über Sie und Mrs Leidner.»
«Was für eine gemeine Phantasie die Menschen haben!»
« N’est-ce pas? So tief man auch etwas Schmutziges vergraben mag, sie wühlen es wie die Hunde wieder hervor.»
«Und Sie glauben diese Geschichten?»
«Ich möchte mich gerne überzeugen lassen… von der Wahrheit», antwortete Poirot gemessen.
«Ich bezweifle, dass Sie die Wahrheit erkennen würden, wenn Sie sie hörten.» Carey lachte unverschämt.
«Lassen Sie es darauf ankommen.»
«Also, Sie sollen die Wahrheit hören! Ich habe Louise Leidner gehasst… das ist die Wahrheit! Ich habe sie gehasst wie die Hölle!»
22
C arey drehte sich mit einem Ruck um und eilte mit langen Schritten davon.
Poirot sah ihm nach und murmelte: «Ja… ich verstehe…» Dann sagte er, ohne den Kopf zu wenden, etwas lauter: «Lassen Sie sich noch nicht blicken, Schwester, er könnte sich umdrehen… So, jetzt können Sie kommen. Haben Sie mein Taschentuch? Vielen Dank, sehr liebenswürdig.»
Er sagte nichts darüber, dass ich gelauscht hatte… woher er es wusste, konnte ich mir nicht vorstellen, er hatte nicht ein einziges Mal in meine Richtung geschaut. Jedenfalls war es mir angenehm, dass er nichts sagte. Ich meine, ich fand es zwar ganz richtig, dass ich es getan hatte, es wäre mir aber peinlich gewesen, wenn ich es hätte erklären müssen.
«Glauben Sie, dass er sie gehasst hat, Monsieur Poirot?», fragte ich.
Sinnend nickte Poirot und antwortete langsam: «Ja, ich glaube es.»
Dann erhob er sich energisch und stapfte den Grabhügel hinauf; ich folgte ihm. Zunächst sahen wir nur arabische Arbeiter, aber schließlich entdeckten wir Mr Emmott, der auf der Erde lag und von einem gerade ausgegrabenen Skelett den Staub wegblies.
Gemessen lächelnd begrüßte er uns und fragte: «Soll ich Sie herumführen? Einen Moment bitte, ich bin gleich fertig.»
Er setzte sich auf, nahm sein Messer und begann vorsichtig, die Erde von den Knochen zu entfernen; ab und zu hielt er inne und blies mit einem Blasebalg oder mit dem Mund weiteren Staub ab, was ich höchst unhygienisch fand. «Sie bekommen doch Bakterien in den Mund, Mr Emmott», warnte ich ihn.
«Bakterien sind meine tägliche Nahrung, Schwester», entgegnete er gelassen, «die schaden einem Archäologen nichts, sie verlieren bald den Mut.»
Nachdem er noch ein bisschen an den Schenkelknochen herumgekratzt hatte, stand er auf und sagte: «So, das kann Reiter nach dem Mittagessen fotografieren. Ganz schöne Sachen hatte sie mit im Grab.»
Er zeigte uns ein kleines, mit Grünspan überzogenes Kupfergefäß, einige Nadeln sowie eine Menge goldener und blauer Steine, die wohl eine Halskette gewesen waren.
«Wer war ‹sie›?», fragte Poirot.
«Anscheinend eine vornehme Dame aus dem ersten Jahr tausend vor Christus. Der Schädel sieht merkwürdig aus. Mercado muss ihn sich ansehen. Es scheint, dass sie keine natürlichen Todes gestorben ist.»
«Eine Mrs Leidner von vor zweitausend Jahren?» fragte Poirot.
«Vielleicht», antwortete Mr Emmott. Dann führte er uns herum und sagte, nachdem er auf die Uhr geschaut hatte: «Wir hören in zehn Minuten auf. Sollen wir zu Fuß nach Haus gehen?»
«Ja, gern», antwortete Poirot. «Sie sind sicher alle froh, dass Sie wieder arbeiten können?»
«Ja, Arbeit ist das Beste», stimmte Emmott zu. «Es war nicht angenehm, im Haus herumzutrödeln und Konversation zu machen.»
«Und die ganze Zeit über zu wissen, dass einer von Ihnen ein Mörder ist.»
Emmott antwortete nicht, und ich wusste jetzt, für
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