Mord in Oxford
Camilla ihr auf keinen Fall auf die Schliche kam, nahm die elastische Binde und humpelte die Treppe hinunter.
Gerade legte Camilla den Hörer auf. Auf ihren Wangen lag eine leichte Röte, die durchaus noch vom Laufen stammen konnte. Das etwas dämliche Lächeln auf ihren Lippen kam allerdings ganz bestimmt nicht vom Joggen.
»Prima. Du hast sie gefunden.«
»Ja, vielen Dank. Ich werde meinen Knöchel mit gefrorenen Erbsen einpacken und das Ding hier drumwickeln. Vermutlich ist es schon wieder in Ordnung, wenn ich heute Nachmittag zum Tee komme.« Eigentlich war Camillas Gesicht nicht unattraktiv, dachte sie, während sie ihre Freundin mit ganz neuen Augen betrachtete. Intelligent, aufgeschlossen und jung – schließlich war Camilla gerade erst 33. Aber es war nun einmal nicht die Sorte Gesicht, die zu rosa Chiffon, Pailletten und einem äußerst gewagten Ausschnitt passte.
»Heute Nachmittag?« Camilla klang verwirrt.
»Du hast mich zum Tee eingeladen. Schon vergessen?«
»Ach, natürlich. Klar kommst du. Um fünf.« Im Geiste schien sie hastig verschiedene Stundenpläne zu koordinieren. »Ja, das ist okay. Bis dann also.«
»Wir könnten uns noch ein paar Gedanken machen, wie wir Roses Sammel-Dosen zurückbekommen.«
»Ich finde es einfach nur verrückt. Die ganze Welt ist verrückt.«
»Aber wenn dir der Plan tatsächlich so sehr missfällt, warum hast du dann nichts gesagt? Warum hast du Yvonne nicht widersprochen? Dabei fällt mir auf: Gavin und Penny haben sich ebenfalls nicht gewehrt.«
»Vielleicht können wir heute Nachmittag darüber reden.«
Kate konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Camilla nicht nur über Roses Dosen und ihre Wiederbeschaffungspläne sprach.
Während sie zu ihrem Haus in der Agatha Street humpelte, dachte sie darüber nach, wie das Joggen Perspektiven veränderte. Nach 20 Minuten Rennen hielt sie sich für fähig, alles zu erreichen, was sie sich vornahm.
Wenn sie allein lief, stellte sie sich meistens vor, sie nähme an einem Marathonlauf teil. Die einsamen Wege der Landschaft um Fridesley veränderten sich dann, und plötzlich sah sie sich von vielen anderen Läufern umgeben, die wie sie in London oder New York gestartet waren. Sie konnte nicht stehen bleiben oder einmal ein paar Schritte gehen, denn die Menschen am Straßenrand feuerten sie an. Sie flog vorwärts. Sie überholte andere Läufer.
Die Euphorie hielt ungefähr ein bis zwei Stunden an, ehe sie auf den Boden der Tatsachen zurückkehrte. Aber ihr blieben meistens ein paar gute Ideen für das Buch, an dem sie gerade schrieb.
Jetzt zum Beispiel musste sie ein paar Gänge zurückschalten. Ihre Arbeit wartete. Sie musste sich in die Napoleonischen Kriege und die Zwangslage ihrer Heldin vertiefen, die ohne einen roten Heller und mutterseelenallein in Frankreich gestrandet war. Zwischen Schreiben und Joggen gibt es eine Menge Ähnlichkeiten, dachte sie, während sie in die Agatha Street einbog. Als sie ihr erstes Paar Laufschuhe gekauft hatte, hätte sie sich nie vorstellen können, weiter als ein paar Hundert Meter zu laufen. Genauso illusorisch waren ihr die 90.000 zu schreibenden Wörter erschienen, als sie mit ihrem ersten Roman begann. Aber mit der Zeit hatte sie ihre Laufstrecke verlängert. An guten Tagen schaffte sie durchaus 15 oder sogar 25 Kilometer. Und die 90.000 Wörter eines Romans hatte sie ebenfalls schon acht Mal zu Papier gebracht.
Um fünf Uhr machte sich Kate auf den kurzen Weg zu Camillas Haus. Der appetitliche Duft frischer Waffeln und der fröhliche Gesang eines unmusikalischen Menschen empfingen sie an der Haustür.
»Wie geht’s?«, fragte Camilla auf dem Weg ins Wohnzimmer. Kate streckte den Fuß aus und zeigte ihrer Freundin den Knöchel, der in einer weißen Bandage steckte.
»Von Stunde zu Stunde besser«, erklärte sie. »Morgen früh zum Laufen muss er wieder in Ordnung sein. Erstens will ich mich für unser alljährliches Club-Rennen fit machen, und außerdem möchte ich natürlich um keinen Preis den großen Dosendiebstahl verpassen.«
Camilla verzog das Gesicht. »Ich könnte ganz gut ohne diesen Schwachsinn leben. Schließlich habe ich schon genug Ärger mit meinen Vorgesetzten. Es geht mal wieder um die Freunde der Fridesley Fields.«
»Ehrlich gesagt kann ich mir kaum vorstellen, dass irgendwer damit Probleme hat. Setzt sich heutzutage nicht jeder für seine Umwelt ein? Ist es nicht normal, dass wir unsere Grünflächen gegen den Zugriff geldgieriger Ausbeuter
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