Mord in Oxford
geblutet, aber ihr Kopf lag in einem völlig falschen Winkel, und überall waren diese weißen Krümel. Vermutlich Knochenstücke. Sie lag irgendwie ganz krumm. Ich habe mich nicht übergeben. Ich wusste, ich durfte mich auf keinen Fall übergeben. Wenn sie so etwas finden, wissen sie genau, wer dort war, oder?«
»Wahrscheinlich hast du Recht.« Kate blickte sich vorsichtshalber um. In unmittelbarer Umgebung konnte sie keinen anderen Jogger entdecken. Niemanden, der diese furchtbare Geschichte mithören konnte.
»Wie lang bist du geblieben? Wie konntest du es überhaupt dort drin aushalten?«
»Die meiste Zeit habe ich die Luft angehalten. Nur für ein paar Minuten, gerade so lange, bis ich das erledigt hatte, was ich tun wollte. Danach brachte ich es einfach nicht fertig, zu Rose zurückzugehen, habe mich zu Hause verkrochen und darüber nachgedacht, was ich tun könnte. Zur Polizei? Unmöglich! Also habe ich gewartet, bis ich glaubte, du könntest wach sein, und bin gekommen.«
»Ich war nur schon auf, weil das Telefon geklingelt hatte. Penny rief an. Sie hat mir erzählt, dass die Polizei bei ihr war und einen Haufen Fragen gestellt hat. Natürlich dachten wir beide, dass es um die Emaille-Dosen ging, aber vermutlich hat Sophie sofort Anzeige erstattet, als sie heimkam.«
»Was für Fragen hat die Polizei denn gestellt?«
»Das Übliche. Wer war zu welcher Zeit wo, und wer hat etwas gesehen oder gehört. Penny dachte, es ginge um die Emaille-Dosen und hat die vereinbarte Geschichte erzählt: Wir waren alle bei Rose, haben Aerobic-Übungen zu lauter Musik gemacht, für unseren Wettbewerb trainiert, und natürlich waren wir so beschäftigt, dass niemand etwas gesehen oder gehört hat. Sie rief mich an, um es mir zu erzählen und sicherzustellen, dass wir wirklich alle die gleiche Geschichte parat haben. Ich sollte dir die Nachricht weitergeben.«
»Dann kann ich ja beruhigt sein. Zumindest, wenn wir alle die gleiche Geschichte erzählen.«
Ein Stück vor ihnen stand eine Bank. Kate verlangsamte den Schritt. »Wir müssen uns einen Augenblick setzen und darüber reden. Du kannst doch nicht allen Ernstes erwarten, dass eine ganze Gruppe die Polizei anlügt, wenn ein Mord im Spiel ist, Camilla. Um Roses Dosen geht es weiß Gott nicht mehr. Ich habe sehr wohl gemerkt, dass du eine Zeit lang nicht da warst, und ich vermute, ein paar anderen ging es genauso. Am besten gehst du zur Polizei, bevor sie zu dir kommt.«
»Ich kann nicht, Kate. Glaub mir, ich kann wirklich nicht.« Und Camilla begann zu weinen. Sie saß im grauen Morgenlicht, und um sie herum lagen abgebrochene Zweige und Äste. Ihre Füße standen in einem Büschel zertretener Osterglocken. Tränen strömten hemmungslos über ihr Gesicht. Sie schluchzte und schniefte, kauerte sich zusammen wie ein Kind und verbarg die rot geweinten Augen in ihrer Armbeuge. Normalerweise hatte sie es nicht gern, wenn man sie berührte; trotzdem streckte Kate die Hand aus und legte sie vorsichtig auf Camillas Schulter. Sie sollte wissen, dass jemand für sie da war.
Plötzlich setzte Camilla sich auf und wühlte in ihren Taschen herum.
»Mist, ich habe kein Taschentuch dabei.« Mit diesen Worten zog sie den Saum ihres T-Shirts aus dem Hosenbund und wischte sich über das Gesicht. Ihre Augen waren rot geweint, und ihre Haut sah so nackt aus, als hätte man viele Schichten abgetragen. Doch so verletzlich sie auch wirkte, sie schniefte nur noch ein letztes Mal und stand dann auf.
»Die Heulerei war ein Fehler«, sagte sie. Kate konnte hören, wie schwer es ihr fiel, wie die gewohnte Camilla zu klingen. »Wenn man einmal anfängt, kriegt man es nur schwer unter Kontrolle.«
»Du lieber Himmel, du wirst doch mal weinen dürfen!«
Aber Camilla erwiderte: »Es wird nicht wieder passieren. Komm, wir müssen los.«
Eine Weile gingen sie stumm nebeneinander her. Schließlich fragte Kate: »Übrigens: Wie bist du eigentlich in Yvonnes Haus gekommen?«
»Ich habe einfach deine Idee aufgegriffen und den Ersatzschlüssel benutzt. Ich wusste, dass er unter einem Blumentopf im Garten lag. Einmal, als ich im Wartezimmer saß, habe ich Sophie zugesehen, wie sie ihn nahm.« Sie klang wieder wie immer, und nur die roten Augen zeugten noch von ihrem Weinkrampf.
»Dann hattest du also deinen Besuch bei Yvonne vorher geplant«, sagte Kate langsam. »Warum nur?«
»Ich kann dir das nicht sagen. Du musst mir einfach vertrauen, Kate.«
Natürlich hätten sie sofort zur Polizei gehen
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