Mord in Oxford
»Aber mir steht nun einmal nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung. Deshalb muss ich Prioritäten setzen. Ich kann mich nicht um die Pläne für jeden einzelnen Quadratmeter in Oxford kümmern.«
»Aber hier leben Sie. Sie müssen doch an dieser Wiese interessiert sein. Die Bebauung, die zur Debatte steht, soll direkt hinter Ihrem Haus entstehen. Na ja, fast jedenfalls. Einen halben Kilometer entfernt.«
»Es ist aber unmöglich, jedes Fitzelchen Grün zu bewahren. Schlimm genug, dass die Reichen in Oxford alles zu schützen versuchen, was ihnen gehört, uns andere aber außen vor halten. Außerdem habe ich mich längst eingemischt, wissen Sie. Ich habe mir die Pläne angesehen und weiß jetzt, wie der Grüngürtel aussieht. Eigentlich sollte ich mich an der Volksbefragung beteiligen und meine Stimme abgeben. Aber dieses Stück Land hier hat so, wie es jetzt aussieht, nichts zu bieten. Warum also sollte man keinen schönen, großen Freizeitpark daraus machen?«
So hatte Kate das Treffen nicht geplant. Sie dachte eher an einen schönen Spaziergang durch die Fridesley Fields, an Gespräche über ihr Leben, ihre Träume und ihre Interessen. Aber irgendwie hatte sie dann plötzlich von Rose, Theo und den Dosen erzählt. Es war nicht ihre Absicht gewesen, aber so war nun einmal ihre Art: Wenn ein Problem sie beherrschte, dann sprach sie darüber.
Liam hatte offenbar nicht verstanden, warum sie auf eigene Faust ermittelte: Jeder vernünftige Mensch würde so etwas der Polizei überlassen. Also erzählte Kate ihm von Yvonne und ihren erpresserischen Ambitionen, verschwieg aber Camillas Verwicklung in die Sache. Ihre Erklärungsversuche dauerten quer über die Port Meadow bis Wolvercote und wieder zurück. Die heftige Diskussion über das Pro und Contra des Bebauungsplans war eigentlich nicht vorgesehen, aber als sie über die Fridesley Fields hinwegblickten, drängte sich das Thema geradezu auf.
»Sie dürfen die Existenz dieser Wiese hier nicht als selbstverständlich ansehen. Wenn Sie das tun, wird in ein paar Jahren nichts mehr davon übrig sein, und zwar für niemanden, privilegiert oder nicht. Sind Sie jemals am frühen Morgen hier gewesen? Haben Sie gesehen, wie sich der Nebel hebt und weidende Pferde und Kühe langsam aus dem Dunst treten? Die Reiher, die manchmal am Flussufer stehen und auf ihr Frühstück warten? Und das Ganze fast im Schatten der Colleges. Sie schauen nach Oxford hinüber und sehen nichts als grüne Bäume. Nur der gelbe Ziegelturm von St. Barnabas mit seinem grünen Dreieckshut und der Turm von St. Andrews lugen darüber hinweg. Aber es ist nicht nur die Universität, Kate. Es ist eine Stadt, die uns allen gehört. Denken Sie doch einmal daran, wie schön sie ist, wenn die Sonne auf den Türmen liegt. Und wie viel schöner noch, wenn man näher herangeht und die Details dieser goldenen Gebäude erkennen kann.«
»Aber sie nehmen uns doch nicht die ganze Port Meadow weg. Nur ein Stück sumpfige Wiese. Ich wusste gar nicht, dass Sie mit solcher Leidenschaft daran hängen.«
»Sie glauben, ich lebe in meiner College-Welt wie in einem Elfenbeinturm und habe mit dem städtischen Leben nichts zu tun, oder? Sie denken, ich gehe durch die kleine schwarze Tür in der Broad Street, kette mein Fahrrad an und verschwinde in meiner mittelalterlichen Häuserwelt, meinem Dorf mitten in einer Großstadt und vergesse alles andere um mich herum. Ich muss zugeben, zum Teil stimmt das. Was im Leicester geschieht, ist mir wichtig, denn das College ist so etwas wie meine Familie. Den größten Teil des Tages verbringe ich tatsächlich hinter dieser grauen Steinmauer und habe grünen Samtrasen und das Gemäuer der New Bodleian vor Augen. Ich lade meine Studenten zu den Tutorenkursen sogar in meine Wohnung ein. Aber ich komme oft genug nach draußen, wissen Sie. Ich ziehe meinen Jogginganzug und meine Laufschuhe an und sehe zu, wie die Sonne aufgeht, wenn ich aus der Dunkelheit der Wytham Woods auftauche. Ich sehe den Himmel mit seinen grauen und goldenen Streifen und liebe die Vorstellung, in einer Stadt zu leben, die von wilden, offenen Flächen umgeben ist – wo ich frei atmen kann, ohne Auspuffgase zu inhalieren, und wo ich kilometerweit über Fußwege laufen kann, ohne eine Menschenseele zu sehen; höchstens einmal einen anderen Jogger oder eine Rudercrew, die draußen auf dem Fluss übt.«
»Ja und? Ich laufe ebenfalls über die Port Meadow und durch die Wytham Woods. Ich gehe über den Saumpfad zur
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