Mord in Tarsis
ernsthaft, daß seine Anweisungen viel zu spät gekommen waren. Ihn besorgte weniger, daß der Mörder entkommen, als daß die Nachricht vom Mord an dem Botschafter das Nomadenlager erreichen könnte. Er fürchtete einen Krieg mit den Nomaden nicht wirklich, aber er wollte nicht, daß dieser Krieg losbrach, bevor er für ihn bereit war.
Auf der verschneiten Plaza vor dem Gericht fand er eine beachtliche Menge vor, die sich zitternd dort versammelt hatte. Wie so vieles in der Stadt war die einst prächtige Plaza jetzt schäbig und schlecht gepflegt. Die Fassaden der angrenzenden Gebäude waren mit der Zeit fleckig und rußig geworden; die Wegweiser waren gesprungen, umgestürzt oder ganz verschwunden, die Statuen verwittert und angeschlagen. Ein typisches Beispiel dafür war die Statue von Abushmulum dem Neunten, König der längst vergangenen Zeit, als Tarsis Könige gehabt hatte, so lange her, daß niemand mehr wußte, weshalb man ihm eine Statue errichtet hatte. Jedenfalls war über ihn weiter nichts bekannt.
Die Stadtwachen hatten einen Ring um die Statue gebildet. Sie blickten nach innen und hielten ihre langschäftigen Äxte kampfbereit. Innerhalb des Kreises der Stadtwachen stand eine Gruppe müder Zecher, von denen die meisten durch die Kälte und ihre Lage ernüchtert schienen. Nur wenige sahen aus wie gebürtige Tarsianer. Die meisten waren ganz klar Reisende von sonst woher.
»Hat von den Zeugen jemand den Ort verlassen?« fragte der Fürst die ranghöchste Wache.
»Nicht seit unserer Ankunft, Herr«, antwortete der Mann.
»Sehr gut. Bringt sie ins Gericht, und sperrt sie bis zum Verhör in den Kerker.« Sofort begannen einige der zusammengedrängten Trunkenbolde zu protestieren. »Jeden, der Ärger macht, könnt ihr töten«, sagte der Fürst. Die Proteste brachen augenblicklich ab.
Die Wachen und die Tavernengäste kehrten dem Ort des Geschehens den Rücken. Sie hinterließen Unmengen schmutziger Fußabdrücke im Schnee. Als sie verschwunden waren, wandte der Fürst seine Aufmerksamkeit der reglosen Gestalt zu, die sie zurückgelassen hatten.
»Fackeln hier rüber«, befahl der Fürst. Mit der so bereitgestellten, passenden Beleuchtung betrachtete er den bizarren Anblick.
Der Körper lag auf dem Sockel der Statue, einem behauenen Marmorblock, der sich mit dem Fürsten auf Augenhöhe befand, und der Fürst von Tarsis war ein großer Mann. Die Leiche lag auf dem Rücken. Nur die Stiefel ragten über den Rand des Sockels hinaus. Das Gesicht von Yalmuk Blutpfeil zeigte einen Ausdruck großer Schmerzen, was angesichts der breiten Wunde, die sich von seiner Kehle bis zum Rückgrat zog, verständlich war. Blut, das jetzt langsam gefror, war den Sockel hinuntergeflossen. Der Strom endete an dem pelzbesetzten Hut, der zertrampelt und ramponiert auf dem Pflaster lag. Yalmuks Hände lagen auf seiner Brust, die Finger gekrümmt wie die Pfoten einer Katze, die auf dem Rücken liegend kämpft.
Über der Leiche erhob sich die Statue von Abushmulum dem Neunten. Der alte König stand da mit seiner Krone und in seinen Königsmantel gewickelt, und dem Fürsten kam es so vor, als könnte er dem König vom Gesicht ablesen, daß es ihm peinlich war, in solcher Gesellschaft erwischt zu werden.
»Holt dieses Aas herunter und bringt es in den Palast«, befahl der Fürst. »Übergebt ihn den amtlichen Einbalsamierern, und sagt ihnen, sie sollen die Leiche wie für ein Staatsbegräbnis herrichten. Er war ein Botschafter, auch wenn er nur ein Barbar und Nomade war. Sein Häuptling will den Körper vielleicht zurück.«
Während die Wachen seinen Befehlen nachkamen, betrachtete der Fürst von Tarsis den Sockel. Wie hatte der Mörder den Körper dort hochgehoben? Yalmuk war gedrungen und beleibt gewesen. Das war eine Arbeit für einen außerordentlich starken Mann. Oder es war nicht nur ein Mörder gewesen. Ganz gleich. Wichtig war nur, daß Yalmuk, dieser Dummkopf, die große Unhöflichkeit begangen hatte, sich innerhalb der Mauern von Tarsis umbringen zu lassen, als wollte er die Stadt und ihren Fürsten absichtlich entehren. Das war unverzeihlich.
Um die Sache noch schlimmer zu machen, wurde Kyaga Starkbogen am anderen Morgen erwartet, und er würde sicher wissen wollen, was aus seinem Botschafter geworden war. Bestand überhaupt die Hoffnung, daß er nichts von dem Mord erfahren würde?
Der Fürst von Tarsis wußte, daß solche Gedanken sinnlos waren. In der Taverne »Zum Faß ohne Boden« waren jede Menge Reisende
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