Mord in Tarsis
gewesen, und viele von ihnen konnten, nachdem sie den Körper gesehen hatten, fortgeeilt sein, um die Nachricht im Nomadenlager zu verbreiten. Seine kriegsrechtlichen Befehle lauteten, daß niemand nach Einbruch der Nacht die Tore passieren durfte, aber das bedeutete wahrscheinlich, daß die Bestechungskosten von einer Kupfermünze auf zwei gestiegen waren. Wenn eine echte Chance bestanden hätte, den Mord zu verheimlichen, hätte er alle Zeugen unter Arrest gestellt und den Körper vor die Mauern geworfen. Nun jedoch würde ein solches Vorgehen die Dinge nur noch verschlimmern.
Als er auf das Gericht zulief, um die Zeugen streng zu verhören, kam es dem Fürsten so vor, als würde ein Schatten über ihn hinwegziehen, der die matschige, graue Plaza verdunkelte. Er blickte auf, und einen Moment lang kam es ihm so vor, als sähe er etwas Flackerndes wie den Umriß einer langen Schlange in eine Wolkenbank schießen. Unwillkürlich überkam ihn ein tiefes, unerklärliches Angstgefühl. Er sah zurück und erblickte die Statue von Abushmulum, die durch die Entfernung, das unheimliche Licht und vielleicht noch etwas anderes fast lebendig wirkte. Der alte König schien ihn zornig anzustarren, als wollte er ihm die Schuld für den traurigen Zustand der einst berühmten Stadt zuschreiben.
Der Fürst schüttelte sich, als wollte er diese unlogische Stimmung abstreifen. Ich lasse zu, daß diese seltsamen Ereignisse und das Gefasel dieses magisch angehauchten Trottels Alban mich aus dem Gleichgewicht bringen, sagte er sich. Es ist alles in Ordnung. Aber warum, fragte er sich mit einem Blick auf das Abbild von Abushmulum, hat der Mörder die Leiche auf den Sockel der Statue gezerrt?
4
Das Trommeln erreichte sie, nachdem es von jenseits der Stadtmauern über den trockenen Hafenboden gezogen war. Die beiden Männer standen an Deck des alten Wracks und lehnten an der kunstvoll geschnitzten Reling. Rundherum stiegen von den anderen bewohnten Wracks windschiefe Rauchsäulen auf.
»Die Nomaden werden ungeduldig«, sagte Eisenholz, der seine Augen gegen den schneidenden Wind zusammengekniffen hatte. »Sie wollen kämpfen oder weiterziehen. Es ist gegen ihre Natur, an einem Ort zu bleiben und nichts zu tun.«
»Es gab Gerüchte«, sagte Nistur. »Gerüchte über einen neuen Häuptling, der die Stämme geeint hat.«
»Das sind mehr als Gerüchte. Über diesen Mann, der sich Kyaga Starkbogen nennt, höre ich seit drei Jahren Geschichten, und ich habe Städte am Rande der Wüste gesehen, die er geplündert hat.«
Nistur zuckte mit den Schultern. »Jede Bande abgerissener Banditen kann eine Stadt ohne Verteidigungsanlagen plündern. Eine Stadt wie diese zu bedrohen, dazu gehört etwas mehr.«
»Ich habe noch etwas gehört«, fügte Eisenholz hinzu. »Muschelring kam heute morgen hierher. Sie sagt, die Offiziere des Fürsten würden Söldner rekrutieren, so viele, wie sie bekommen können, und sie bieten guten Lohn.«
Nistur warf ihm einen scharfen Blick zu. »Wie schade, daß du noch nicht in der Lage bist, dir Arbeit zu suchen.«
»Ich bin schon fast wieder der Alte!« beharrte Eisenholz. »Die Schwäche vergeht immer nach zwei bis drei Tagen. Jetzt bin ich bereit für eine neue Aufgabe.«
»Und dennoch, wäre es klug, in diesem Moment anzuheuern? Die Herren von Tarsis haben sich in Sachen Fairneß nicht gerade einen guten Ruf erworben.«
»Ein Söldner, der darauf wartet, daß ihn ein Fürst von tadellosem Charakter anwirbt, ist bald verhungert. Sie schimpfen immer, wenn am Ende der Zahltag kommt, aber sie zahlen immer, weil sie uns fürchten. Wenn sie die Mittel hätten, ihre Söldner zu unterdrücken, müßten sie gar nicht erst Krieger anwerben.«
»Du kennst die Sitten deines Berufs«, gestand Nistur ihm zu, »aber bestimmt ist es eine gute Idee, erst einmal abzuwarten. Ist es wahrscheinlich, daß eine große Horde Nomaden gegen Tarsis bestehen kann?«
»Ich habe die Befestigungen der Stadt nicht geprüft«, gab Eisenholz zu. »Ich hätte nie daran gedacht, mich hier werben zu lassen. Tarsis ist ein Ort, wo Söldner zwischen den Kriegen bleiben. Viele Werber ziehen hier vorbei, und ein Kämpfer muß selten lange auf eine Anstellung warten, wenn er sein Geld ausgegeben hat. Aber um deine Frage zu beantworten: Die Nomaden kämpfen vor allem als berittene Bogenschützen. Darin sind sie auf offenem Gelände fast unschlagbar. Weil sie exzellente Schützen sind, können sie sich schnell bewegen und auf Distanz bleiben,
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