Mord in Tarsis
und zwischen die Sterne lief.«
Die grünen Flammen erstarben, und der Schamane betrachtete sie nüchtern. »Alle Stämme der Staubebene, gleich welcher Art, stammen von dem magischen weißen Hirsch ab. Der Greif bedeutet für uns die Städte, welche die Ebenen umgeben. Aus dieser Vision erfuhr ich, daß bald ein großer Häuptling kommen würde, um die Stämme zu einen und die Städte zu zerstören.«
»Warum wollt Ihr sie zerstören?« fragte Nistur. »Ihr hängt doch schließlich in vielem, das Ihr nicht selbst herstellen könnt, von ihnen ab.«
»Es ist unpassend, daß freie Nomaden in irgendeiner Form von den schwachen, degenerierten Menschen der Städte abhängig sind. Lieber sollen sie alle umkommen, und wir kehren zur Lebensform unserer Vorfahren zurück. Wo jetzt die Städte stehen, wird bald nur noch Gras wachsen, und unsere Herden werden dort weiden.«
»Was für eine traurige Vorstellung«, sagte Nistur. »Wir sind jedoch nicht hier, um uns für die Sache von Kyaga Starkbogen gewinnen zu lassen. Wir sind hier, um herauszufinden, wer seinen Botschafter getötet hat.«
»Das spielt keine Rolle«, sagte Schattensprecher. »Die Tarsianer haben ihn getötet. Wenn wir jeden in Tarsis getötet haben, ist er gerächt.«
»Eine gründliche Rache«, stimmte Nistur zu, »aber nur, wenn es wirklich jemand aus der Stadt war. Wir sind davon nicht so überzeugt.«
»Dann seid Ihr Narren. Alle Häuptlinge hier hassen einander. Viele hatten alte Fehden mit Yalmuk und seinem Volk. Aber Kyaga hat ihren Fehden ein Ende gemacht.«
»Es ist eine Sache, sich einem Oberhäuptling zu unterwerfen«, sagte Eisenholz. »Es ist etwas anderes, die Feindschaft von Generationen zu begraben. Vielleicht hat jemand hier beschlossen, daß seine Treue zu einer Blutfehde die Loyalität zu Kyaga übersteigt.«
»Oder«, sagte Nistur, »vielleicht war eine ehrgeizige, eifersüchtige Person«, er blickte den Schamanen vielsagend von oben bis unten an, »der Meinung, daß sie in der Wertschätzung des Häuptlings keinen Rivalen dulden könnte.«
Schattensprechers Gesicht, das von Amuletten und Farbe verdeckt war, wirkte belustigt. »Und wenn es so wäre? Sicher wäre es für so jemanden eine Leichtigkeit, Yalmuk hier draußen auf der Ebene zu töten. In der Stadt werden Nomaden genau beobachtet.« Er grinste. »Wenn du«, er zeigte auf Nistur, »ihn töten wolltest«, sein Zeigefinger schwenkte auf Eisenholz, »würdest du ihn hier heraus ins Nomadenlager locken und die Tat begehen, wo du ein Fremder bist und aller Augen sich auf einen solchen Anblick richten würden?« Er lachte leise.
»Nein, mein Freund«, fuhr er fort. »Du würdest ihn in einer Seitengasse der Stadt erledigen, wo du dich zu Hause fühlst, wo keiner einen zweiten Blick für deinesgleichen übrig hat.«
»Ich gebe zu, daß Ihr ein starkes Argument angeführt habt«, gestand Nistur.
»Und du«, richtete der Schamane sich an Eisenholz. »Du hast eine wichtigere Aufgabe als die Suche nach dem Mörder von Yalmuk.«
»Was meint Ihr damit?« fragte Eisenholz.
Der Schamane lehnte sich vor. Seine Augen waren so groß und dunkel, daß die Iris nicht von der Pupille zu unterscheiden war. »Ich sehe die tödliche Krankheit in deinem Gesicht, und ich sehe das Zittern deiner Hände. Mit den Augen ihres Körpers können deine Freunde diese Dinge nicht sehen, aber ich sehe mit den Augen des Geistes. Der Biß des Schwarzen Drachen ist langsam, aber er wirkt.«
»Daran kann man nichts ändern, und es hat nichts mit unserem Auftrag zu tun!« sagte Nistur streng. Dieses eine Mal verließ ihn seine Gelassenheit.
»Bist du dir da so sicher?« fragte der Schamane. »Glaubst du, die Heiler und Zauberer eurer Städte wüßten alles, was es in den Künsten zu wissen gibt? Ich selbst habe Männer und Frauen aus den Armen des Todes zurückgerufen, die Eure Zauberer als tot aufgegeben hätten.«
»Ich dachte, Ihr erweckt sie, wenn sie schon tot sind«, warf Muschelring ein, die sich wunderte, warum sie sich überhaupt zu Wort meldete. Er richtete seine durchdringenden braunen Augen auf sie, und sofort bereute sie ihre Voreiligkeit.
»Du solltest nicht von heiligen Dingen sprechen, Diebin!« zischte er.
»Im Gegenteil«, sagte Nistur kühl. »Sie dient dem Fürsten von Tarsis, ist von ihm und – wie ich Euch erinnern möchte – von Eurem eigenen Herrscher bevollmächtigt, mit jedem Untertan beider Herrscher zu sprechen, wie es ihr beliebt. Unterschätzt nicht die Wichtigkeit unserer
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