Mord in Tarsis
unvollendeten Arbeiten stand auf Podesten herum.
Von dieser Höhe aus kamen sie in einen Gang, der viel größer war als die, durch die sie zuvor gelaufen waren. Dieser hatte eine gewölbte Decke, von der Eisenkörbe voller Leuchtpilze hingen, die ein Licht warfen, das dem in der Behausung mindestens gleichkam. Irgendwann blieb Wühler stehen und machte eine kleine Tür auf. Sie erlaubte Zugang zu einem Wandschrank, der gerade eben so groß war, daß der Zwerg sich allein hineinquetschen konnte. Von der Decke hing ein Stück Kette, das in einem Griff endete. Wühler nahm den Griff und zog ihn dreimal nach unten. Als er den Wandschrank verließ und die Tür zumachte, hallte ein tiefer, dröhnender Gongschlag durch den Gang. Dann folgte ein zweiter Schlag, dann ein dritter. Die Töne hallten noch lange Zeit nach.
»Das ist der Ruf zur Versammlung«, erklärte Wühler. »Man hört es unter der gesamten Stadt. Kommt jetzt.«
Sie gingen ihm nach und kamen in einen gewaltigen Raum. Das Licht war zu schwach, um seine äußersten Grenzen zu erhellen. Der Boden war mit Steinen übersät, die von der Decke gefallen waren. Von diesem Raum aus betraten sie eine breite Treppe, die nach unten führte; dann folgten weitere Gänge und Räume.
Nistur schwindelte, wenn er an den unglaublichen Arbeitsaufwand dachte, der nötig gewesen sein mußte, um diese Gänge und Höhlen aus dem hartem Fels zu hauen und sie anschließend noch alle auszugestalten. Schließlich erreichten sie einen Raum, der nicht ganz so riesig war wie die anderen. Dort fanden sie vierzig bis fünfzig Zwerge vor, die auf reihenweise angeordneten Steinbänken saßen. Ursprünglich war der Raum wohl für eine viel größere Zahl von Zwergen aufgelegt gewesen.
»Was ist los, Wühler?« fragte ein älterer Zwerg, dessen Augenbrauen wie ein langer Schnurrbart seitlich an seinem Gesicht herunterhingen. »Dieses Signal kam aus deinem Teil der Unterstadt.«
»Und wer sind diese Fremden?« wollte eine fast genauso alte Frau wissen.
»Sie sind Freunde von Stunbog und kommen mit Neuigkeiten, die uns alle betreffen«, sagte Wühler. »Oben gibt es Ärger.«
Der alte Zwerg schnaubte. »Was kümmert uns das? Die Nomaden können die Stadt plündern und niederbrennen, wenn sie wollen. Uns geht das nichts an. Sie werden es nicht wagen, hier herunterzukommen.«
»Es sind nicht die Nomaden, Hitzschmied«, sagte Wühler. »Hör zu, was Muschelring zu sagen hat.«
Die Diebin trat vor und erzählte noch einmal ihre Geschichte. Ihre Zuhörer lauschten mit ernsten Gesichtern.
»Wir können Stunbog nicht im Kerker verfaulen lassen«, sagte eine Frau, die für eine Zwergin jung aussah. »Er hat meine Tochter gerettet, als ich schon dachte, sie würde sterben.«
»Richtig, wir schulden ihm viel«, sagte der mit dem Namen Hitzschmied.
»Holt ihn und die anderen raus«, sagte Muschelring. »Wir machen euch keinen Ärger. Wir verschwinden, sobald sie draußen sind.«
Der alte Zwerg drehte sich zu der Versammlung um. »Sind wir uns einig?« Alles nickte, grunzte oder zeigte anderweitig Zustimmung. »Also gut. Wer kennt dieses Gebiet am besten?« Ein kahler Zwerg mittleren Alters hob die Hand. »Dann erzähl uns davon, Pickelbrecher.«
Der Kahle richtete sich zu seiner vollen Größe von einem guten Meter auf. »Als das Fundament des Gerichts errichtet wurde, haben unsere Vorfahren viele der Zugangstunnel an Ort und Stelle gelassen, wie sie es bei den größeren Gebäuden der Stadt gewöhnlich taten. Diese Tunnel wurden bei der Umwälzung schwer in Mitleidenschaft gezogen, und sie wurden ausgefüllt, damit die Gebäude sich nicht senkten.«
»Wie lange braucht man, um zu der Zelle vorzustoßen, wo sie Stunbog festhalten?« fragte ihn Wühler.
»Ich muß ins Archiv gehen und die Pläne holen, aber ich bin sicher, daß es zumindest einige Stunden dauern wird. Und dann ist da noch der Behir.«
»Ich bin mir fast sicher, daß die Antwort mir nicht gefallen wird«, sagte Nistur, »aber ich muß doch fragen: Was ist eigentlich der Behir?«
»Du weißt nicht, was ein Behir ist?« fragte Wühler verwundert.
»Andernorts dürften sie selten sein«, antwortete Nistur.
»Er ist ein großer Wurm«, sagte Hitzschmied. »Ein bösartiges Reptil von zehn Metern Länge. Er frißt alles, was er erwischen kann.«
»Ein Drache?« fragte Eisenholz.
Hitzschmied schüttelte den Kopf. »Nein, der Behir hat keine Flügel, er spricht nicht, und er speit weder Feuer noch Gift.«
»Das ist
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