Mord in Tarsis
aufgespürt. Sie hat die Stadt zerstört, weil der Rüstungsmacher noch immer die andere Hälfte der Drachenhaut in Besitz hatte. Sie hätte mich schon viel eher gefunden, aber ich war immer unterwegs, und sie jagt nur bei Nacht und auch dann nur wenige Tage hintereinander, denn sie kann die Kälte nicht lange aushalten.«
»Warum hast du diese Haut nicht weggeworfen?« fragte Muschelring. »So wertvoll kann sie doch nicht sein.«
»Ich habe es versucht«, sagte er. »Etwas hält mich davon ab, sie auszuziehen, oder die Nähte auch nur für mehr als ein paar Minuten offenzulassen. Einmal bat ich einen Kameraden, sie mir auszuziehen; ich nahm ein Betäubungsmittel. Im gleichen Moment, als er daran zog, fuhr ich hoch und habe ihn halb umgebracht, ehe ich wieder ganz bei Sinnen war.«
»Höchst verlockende Aussichten, mein Freund«, stellte Nistur fest. »Anscheinend kannst du dir dein Schicksal aussuchen, und dein Hauptvergnügen liegt darin, daß du wählen kannst, was dich zuerst umbringt: das langsam wirkende Gift des jungen Drachen oder die Rache seiner Mutter.«
Eisenholz lehnte sich erschöpft zurück. »Schließlich endete ich wie fast jeder Söldner in Tarsis. Die kleinen, örtlichen Kriege waren erloschen, und dies war eine der wenigen großen Städte, wo ich es noch nicht versucht hatte. Ich hoffte, ich könnte eine Gruppe Söldner finden, die noch nicht von mir gehört hatte. Nachdem das nicht klappte, dachte ich daran, Räuber zu werden.«
Er sah sie düster an. »Soviel zu meinen jugendlichen Träumen, ein großer Held zu werden.«
»Vielleicht hält das Schicksal noch ein anderes Los für dich bereit«, meinte Nistur.
»Dann sollte es lieber bald Gestalt annehmen«, erwiderte Eisenholz. »Ich habe das Gefühl, daß mir nicht mehr viel Zeit bleibt.«
»Dieser Schamane hat angedeutet, er wüßte ein Heilmittel«, sagte Muschelring hoffnungsvoll. »Meint ihr, das stimmt?«
»Ich würde Schattensprecher nicht einmal zutrauen, eine Warze zu heilen«, sagte Nistur. Er bemerkte den zweifelnden Ausdruck auf Eisenholz’ zerfurchtem Gesicht. »Vergiß es, mein Freund! Ich kann doch sehen, was du denkst: ›Vielleicht weiß der Schamane etwas.‹ Das ist nur deine Hoffnung, die da spricht. Aus verständlichen Gründen willst du unbedingt glauben, daß dieser stinkende Wilde ein Heilmittel für dein Leiden hat, und das verleiht seiner Behauptung in deinen Augen unverdiente Glaubwürdigkeit. Genau so nutzen geschickte Pferdehändler uns aus. Sie bringen uns dazu, Dinge in ihren Mähren zu sehen, von denen wir einen halben Tag später nichts mehr wissen. Wir sind leicht zu betrügen, denn wer von uns wünscht sich nicht ein sehr gutes, aber billig erworbenes Roß?«
»Und du solltest nicht gerade jetzt aufgeben«, sagte Muschelring. »Wir werden Stunbog aus dem Gefängnis holen. Mit genügend Zeit findet Stunbog für alles ein Heilmittel!«
»Unsere langfingrige Freundin übertreibt ein wenig«, sagte Nistur, »aber die Wahrheit ist auf ihrer Seite. Wer weiß, was wir noch finden? Die Welt ist groß und voller Magie.«
Eisenholz schnaubte. »Keine Sorge, wenn ich so leicht aufgeben würde, hätte ich das längst getan.« Er runzelte die Stirn. »Wie weit sind die Zwerge inzwischen?«
Sie standen auf und gingen zur Tür, wo sie auswichen, als ein älterer Zwerg eine Schubkarre mit Schutt vorbeischaukelte. Die drei spähten staunend hinein. Die emsigen Zwerge schienen das Gestein geschmolzen zu haben, und nun erstreckte sich ein Tunnel mit geraden Wänden vor den Gefährten. An der Ecke hatte man Leuchtpilzklumpen befestigt, aber sie konnten nicht über die ersten paar Schritte hinaussehen. Die Luft war voller Gesteinsstaub, und von weit hinten hörten sie den Klang von Werkzeugen, die auf Stein trafen. Die Zwerge arbeiteten schnell und ohne Unterlaß.
Nistur stieß einen leisen Pfiff aus. »Sie haben nicht gelogen, als sie sagten, sie wären fürs Graben geboren. Sie wühlen sich durch den Stein wie Wühlmäuse durch weiche Erde.« Noch während er dies sagte, mußte er einer weiteren beladenen Schubkarre ausweichen, dann drei anderen, die leer zurückfuhren.
»Woher kennst du dieses Volk?« fragte Eisenholz Muschelring.
»Ich habe den Großteil meines Lebens in den Kellern der Altstadt verbracht. Als Kind habe ich alle Tunnel erforscht, die ich finden konnte. Manchmal traf ich dabei einen Zwerg. Sie weichen den Leuten, die oberirdisch leben, lieber aus, aber sie konnten ja sehen, daß ich keinerlei
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