Mord in Tarsis
Gefahr darstellte. Als Stunbog sich draußen im Hafen niederließ, erzählte ich ihnen von ihm.«
Sie kehrten an den Tisch zurück. »Hattest du keine Familie?« fragte Nistur.
»Wenn, dann erinnere ich mich nicht an sie. Ich habe mich auf den Straßen und in den Kellern durchgeschlagen, solange ich denken kann.« Sie lachte trübsinnig. »Ihr zwei wart wenigstens etwas und seid herumgekommen. Ich war noch nie irgendwo anders als hier, und ich war nie etwas anderes als eine Diebin.«
»Aber du bist eine sehr gute Diebin«, betonte Nistur. »Ein echtes Vorbild.«
»Und du bist eine treue Freundin«, lobte Eisenholz.
»Diese letzten paar Tage mit euch beiden waren die interessantesten meines Lebens«, gab sie zu. Sie nahm das Siegel, das um ihren Hals hing, und sah es liebevoll an. »Und es hat viel Spaß gemacht, das hier zu besitzen und damit über die Bürger zu herrschen.« Sie ließ es los und seufzte. »Ich nehme an, das alles wird bald vorüber sein.«
»Von allen Aussagen, die wir machen«, erklärte Nistur, »dürften Zukunftsaussagen die unklügsten sein. Laßt uns die kommenden Stunden so gut angehen, wie wir können. Ich bezweifle, daß frühere Erfahrungen uns dabei viel nützen werden, aber das macht das Leben schließlich so aufregend.«
Mit vollem Bauch ruhten sie sich eine Weile aus, dann nickten sie an dem Tisch ein, die Köpfe auf die Arme gebettet. Das ferne Klirren der Werkzeuge und das Rumpeln der Schubkarren nahmen sie nicht mehr wahr. Sie erwachten, als Zwergenhände an ihren Schultern rüttelten.
»Wir sind jetzt unter der Zelle«, berichtete ihnen Hitzschmied. »Wollt ihr dort sein, wenn wir sie rausholen?«
»Selbstverständlich!« sagte Nistur, der aufstand und nach seinem Hut griff. »Ich war schon bei Ausbrüchen dabei, aber nie bei einem solchen wie hier!«
Eisenholz gähnte und streckte sich, daß die Rüstung knarrte. »Das will ich bestimmt nicht verpassen«, stimmte er zu.
Muschelring war bereits aufgesprungen und zur Tür gerannt, als ein leises Zittern durch den riesigen Raum rollte. »Was ist das?« rief sie. »Ein Erdbeben?« In fast panischem Schrecken sah sie nach oben. Seit der Umwälzung lebten die Tarsianer in beständiger Angst vor einstürzenden Häusern.
»Wahrscheinlich gar nichts«, sagte Hitzschmied. »Wollen wir jedenfalls hoffen.«
Sie folgten ihm in den düsteren Tunnel, wo sich der Gesteinsstaub allmählich setzte und die Geräusche der Werkzeuge verstummt waren. Der Tunnel war breit genug, aber Eisenholz mußte sich bücken, um nicht an die niedrige Decke zu stoßen, und Nistur mußte seinen Hut abnehmen. Nur Muschelring konnte problemlos aufrecht gehen.
Sie kamen ans Ende des Tunnels, der in einen runden Raum mit viel höherer Decke ausgeweitet worden war. In der Mitte hatte man ein paar Blöcke übriggelassen, damit ein letzter Zwerg darauf stehen und an den letzten Steinen über seinem Kopf arbeiten konnte. Mit einem Meißel klopfte er mit fast lautlosen Hammerschlägen den Mörtel ab. Wenn ein Block sich zu lösen begann, fing er ihn auf und reichte ihn einem anderen Arbeiter nach unten weiter.
Für Nistur unterschied sich diese Stelle nicht vom Rest des Tunnels, durch den sie gekommen waren. »Seid ihr sicher, daß dies die richtige Stelle ist?« fragte er.
Der Anführer der Zwerge wirkte verletzt. »Wie könnten wir uns da irren?«
»Ja, wie nur?« sann Nistur.
Dann rührte sich keiner mehr, denn eine neue Erschütterung durchlief den Tunnel. Feiner Staub rieselte aus den frischen Ritzen herunter, und sie sahen einander wortlos an. Kurz darauf kam einer der jungen Zwerge hereingerannt.
»Er wacht auf!« schrie er.
»Schnell jetzt!« befahl Hitzschmied. »Holt die letzten Steine runter! Wir haben keine Zeit, es leise und ordentlich zu machen. Wir müssen rasch von hier verschwinden!«
Der Zwerg auf dem Steinturm verdoppelte seine Anstrengungen, doch als Zwerg überstieg sein innerer Zwang zu perfekter Steinmetzarbeit die Anforderungen von Notfallsituationen, deshalb löste er weiter den Mörtel rund um die Blockränder heraus.
Eisenholz schnappte sich einen Hammer. »Aus dem Weg!« Er sprang zur Spitze des Steinhaufens hoch, wo er den zaghaften Steinmetz beiseite drängte. Weit ausholend schwang er den Hammer gegen den Stein über seinem Kopf. Steinsplitter regneten herab. Eisenholz schüttelte den Staub aus seinen Augen und schlug erneut zu, doch diesmal schloß er sie im letzten Moment. Größere Bruchstücke regneten herab.
»Das ist
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