Mord in Thingvellir
woanders bin.
Gunnhildur kommt eine halbe Stunde zu spät. Aufgebracht und beunruhigt. Als stünde sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
»Ich habe dir am liebsten alles sagen wollen, als wir uns das letzte Mal getroffen haben, aber ich konnte es einfach nicht«, sagt sie.
»Warum nicht?«
»Ich hatte versprochen, nichts zu sagen.«
»Wem hast du das versprochen?«
»Árni Geir.«
»Was hat er denn mit dieser Geschichte zu tun?«
»Nur so.«
Gunnhildur rutscht unruhig auf ihrem Stuhl vor meinem Schreibtisch herum.
»Wir gehen erst mal die Kontakte von Soleen und dir von dem Tag, als sie starb, der Reihe nach durch«, sage ich. »Wann hat Soleen dir erzählt, dass sie schwanger ist?«
»Sie hat mir mittags eine SMS geschickt, aber ich konnte erst am Nachmittag mit ihr sprechen. Und da sagte sie mir das Ergebnis des Schwangerschaftstests.«
»Hat sie dir erzählt, wer der Vater ist?«
»Nein, nicht direkt.«
»Hör auf, mich anzulügen!«, rufe ich verärgert.
»Soleen hat gesagt, dass nur ein Mann in Frage käme, aber sie konnte mir nicht sagen, wie er heißt.«
»Glaubst du, dass ich dir das abnehme?«
»Das ist die reine Wahrheit! Deshalb wollte sie auch mit Árni Geir sprechen.«
»Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.«
»Árni Geir wusste, wer der Mann war.«
»Was zum Kuckuck willst du damit sagen? Dass Soleen ihren Kindsvater nicht kannte, aber Árni Geir?«
»Ja«, antwortet sie leise. »Es ist bei ihm auf der Party passiert.«
»Im Haus von Árni Geir?«
Sie nickt. Mit hängendem Kopf.
Ich öffne die Schreibtischschublade. Hole das Tagebuch heraus. Schlage die Juni-Einträge auf. Lese beide laut vor:
»Vierter Juni: Will heute Abend mit G auf eine irre Party.«
»Fünfter Juni: Gott hat mich verlassen.«
Durchbohre Gunnhildur mit meinem Blick. Und frage barsch:
»Was zum Teufel ist eigentlich auf dieser Party passiert?«
»Das habe ich nicht gesehen.«
»Aber?«
»Ich musste ein paar Dinge mit Árni Geir besprechen, deshalb sind wir in sein Schlafzimmer ins oberste Stockwerk gegangen und waren ungefähr eine Stunde lang dort. Als wir wieder in seine Bar zurückkamen, saß Soleen allein und total verstört da, sie zitterte am ganzen Leib und war nicht mehr zurechnungsfähig.«
»Inwiefern?«
»Als hätte sie gedopt. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, was passiert war.«
»Willst du damit sagen, dass jemand heimlich Buttersäure in ihr Glas geschüttet hat?«
»Ja, oder irgendeine andere Droge.«
»Sie konnte euch also nicht sagen, was passiert war?«
»Nein.«
»Aber du weißt es trotzdem?«
Gunnhildur schaut auf.
»Soleen wurde vergewaltigt«, sagt sie.
»Vergewaltigt?«
»Ja.«
»Bei Árni Geir im Keller?«
»Ja.«
»Wer hat das getan?«
»Einer von den Partygästen.«
»Wer?«, wiederhole ich.
»Árni Geir wollte es mir nicht sagen.«
»Bist du sicher, dass er es weiß?«
»Ja, Soleen hat ihm den Vergewaltiger beschrieben.«
»Wo und wann hat sie ihm das gesagt?«
»Zu Hause bei Árni Geir, an dem Tag, als sie verschwand.«
»Woher weißt du das?«
»Soleen hat Árni Geir an diesem Tag tonnenweise SMS-Nachrichten geschickt. Als er ihr endlich geantwortet hat, hat er ihr angeboten, gegen sechs Uhr abends zu ihm nach Hause zu kommen. Sie hat mich gebeten mitzugehen, denn sie hatte Angst nach dem, was auf der Party geschehen ist.«
»Verflucht!«
Ich schwöre, dass ich mich bei Gelegenheit an Árni Geir für dieses ganze Lügengewäsch rächen werde.
»Bist du mit ihr zu Árni Geir gefahren?«
»Ja.«
»Was ist da passiert?«
»Soleen hat Árni Geir gesagt, sie habe noch nie mit jemandem geschlafen außer mit dem Mann, der sie vergewaltigt hat. Sie hatte wahnsinnig Angst vor ihrem Vater, auch, weil sie nicht wusste, von wem das Kind war, und sie flehte Árni Geir an, es ihr zu sagen. Aber er wollte es ihr nur sagen, wenn sie beide allein waren, also bin ich wieder gegangen.«
»Und du hast sie bei Árni Geir zurückgelassen?«
»Ja, Soleen hat mich gebeten zu gehen, da das der einzige Weg war, um die Wahrheit zu erfahren.«
»Um wie viel Uhr bist du von dort weggegangen?«
»Es war um halb sieben, glaube ich.«
»Hat Soleen dich später noch kontaktiert?«
Gunnhildur schüttelt den Kopf.
»Hat sie dich danach nicht angerufen? Oder dir eine Nachricht geschickt?«
»Nein.«
»Sie hat also keinen Kontakt zu dir aufgenommen, nachdem du das Haus verlassen hast?«
»Nein.«
»Hat Árni Geir dir erzählt, worüber sie gesprochen
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