Mord in Thingvellir
haben?«
»Er hat mir gesagt, dass er Soleen versprochen hat, den Mann anzurufen, von dem sie glaubt, er habe sie vergewaltigt, um zu hören, wie er auf die Anschuldigung reagiert und ob er bereit sei, mit ihr darüber zu reden.«
»Hat er den Mann angerufen?«
»Ich glaube schon.«
»Und wie hat der Vergewaltiger reagiert?«
»Das weiß ich nicht. Aber Soleen war auf jeden Fall noch am Leben, als sie und Árni Geir sich voneinander verabschiedetet haben.«
»Woher weißt du das?«
»Er hat es mir erzählt.«
»Du hast also nur sein Wort?«
»Ja, so gesehen schon, aber ich glaube ihm. Árni Geir ist kein Mörder.«
»Er ist aber auf jeden Fall ein verdammter Lügner. Wie du.«
»Sorry.«
»Es ist ein ernsthaftes Vergehen, die Ermittlungen in einem Mordfall zu behindern. Du musst den Goldjungs umgehend davon berichten.«
»Ich mach das morgen.«
»Nein. Du fährst noch heute Abend zu ihnen. Sonst verklage ich dich auf der Stelle.«
»Okay.«
Gunnhildur scheint nach meiner Drohung noch beunruhigter zu sein.
Geschieht ihr recht.
40
»Hier!«
Thórdís reicht mir eine Flasche Jackie Daniels. Das wunderbare Feuerwasser.
Ich habe immer damit gerechnet, dass sie zu mir zurückkommen würde. Früher oder später.
Aber warum ausgerechnet jetzt?
Sie hat ihr Motorrad neben meinem Benz geparkt. Unsere phantastischen Rennpferde stehen nebeneinander in der Einfahrt. Das eine schwarz. Das andere silbern.
Die Gegensätze fallen einem sofort ins Auge.
Thórdís nimmt in der Diele ihren Helm ab. Schüttelt ihr sonnengebleichtes Haar, sobald es aus dem Gefängnis befreit wird.
Das schwarze Leder steht ihr gut.
Sie beginnt, die Treppe hinaufzugehen. Mit federndem Schritt.
Ich warte in der Diele. Genieße es, sie von hinten zu sehen. Die langen Beine in den engen Lederhosen. Die ovalen Pobacken, die bei jedem Schritt wackeln.
Mein Herz schlägt schneller. Vor lauter Vorfreude.
Zu Beginn war Thórdís nur ein Einweg-Vergnügen. Aber das änderte sich, als sie begann, mich zu meiden. Ihre Ausweichmanöver haben meinen Kampfgeist geweckt.
Ich will wieder mit ihr ins Bett. Um des Vergnügens willen. Und der Siegesfreude.
Sie bleibt auf der zweitobersten Stufe stehen. Dreht sich um. Als ob sie sich vergewissern will, dass ich ihr hinterhergucke.
Und lächelt.
Ich hole uns zwei Whiskeygläser. Öffne die neue Flasche. Gieße die beiden glitzernden Kristallgläser halbvoll mit meiner geliebten rotbraunen Flüssigkeit.
»Prost.«
Mein bester Freund verteilt sich angenehm durch die Adern.
Wir reden zusammen über Gott und die Welt. Während wir uns fürdas aufwärmen, was ganz offensichtlich vor uns liegt.
»Warum warst du nur einen Sommer in Klettur?«, frage ich.
»Weil wir im Herbst in die Stadt gezogen sind.«
»Du und Ásleifur?«
»Ja, Ási hat auf mich aufgepasst, seit ich zehn fahre alt war.«
»Nach dem Tod deiner Eltern?«
»Weißt du alles darüber?«
»Ich habe die Geschichten gehört.«
»Ja, damit habe ich gerechnet.«
»Fällt es dir schwer, darüber zu reden?«
»Über was?«
»Über deine Eltern?«
»Nein, das ist überhaupt kein Problem«, antwortet sie trocken. »Aber jetzt ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort dafür.«
»In Ordnung.«
Sie schenkt nach. Und ich frage weiter.
»Wie hat es dir in Klettur gefallen?«
»Bei deinem Vater? Das solltest du doch aus eigener Erfahrung wissen.«
»Ja, aber wie fandest du es?«
»Es war okay. Prost.«
»Versuchst du etwa, mich unter den Tisch zu trinken?«
Thórdís lächelt zweideutig.
»Nein, nein«, antwortet sie. »Du bist sowieso viel trinkfester als ich.«
»Wann hast du angefangen?«
»Zu trinken?«
»Hmmhmm.«
Sie überlegt.
»Ich glaube, ich war zwölf.«
»Wie kam es dazu?«
»Zwei Jungs, die ich kannte, hatten Selbstgebrannten in einer Flasche dabei. Ich fand das Zeug widerlich, habe es aber trotzdem getrunken, um den anderen zu zeigen, dass ich o.k. bin. Der Rausch war auch viel besser als der Geschmack.«
»Warum hast du angefangen, in Klettur zu arbeiten?«
»Ási hat mir immer Sommerjobs für die Ferien besorgt. Er hat mit deinem Vater vereinbart, dass er mich einstellt.«
»Ich verstehe.«
»Kalli hat mir in diesem Sommer das Fotografieren beigebracht.«
»Ach, hat er das.«
»Ja, ich habe Kalli oft beim Fotografieren beobachtet und eines Tages hat er einen Schwarzweißfilm in die alte Leica eingelegt, die er nicht mehr benutzt hat und ging mit mir raus, um Aufnahmen in der Natur zu
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