Mord in Thingvellir
sich gerade oberhalb der Türmitte.
Ich drehe es vor und zurück. Ohne dass die Tür sich öffnet.
Der Tresor steht wie ein unberührbarer Felsen in der Ecke. Griesgrämig. Schweigend wie ein Grab.
Schließlich rufe ich meinen privaten Rettungsdienst an.
Meinen Cousin Sindri.
Aber dieses Mal hat er keine Wunderlösung parat.
»Für solche Schlösser braucht man meistens eine Zahlenkombination von drei Zahlen, die man in der richtigen Reihenfolge eingeben muss. Wenn du die Zahlen nicht kennst, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass du sie durch Zufall entdeckst.«
»Warum?«
»Es gibt viel zu viele Möglichkeiten, mindestens eine Million, soweit ich weiß.«
»Und was mache ich jetzt?«
»Du kannst mit einem Schweißbrenner ein Loch in die Tür brennen lassen.«
»Oh Mann!«
»Oder versuchen, einen gewieften Einbrecher zu finden, der Tresore dieser Art knacken kann, wenn es so einen spezialisierten Ganoven überhaupt in Island gibt.«
»Ha, ha, wie witzig.«
»Aber eins kannst du zuerst ausprobieren«, fügt er hinzu. »Viele, die solche Zahlenschlösser verwenden, haben Angst, die Zahlen zu vergessen, die sie sich ausgesucht haben. Deshalb nutzen sie gerne Nummern, die sie sowieso im Kopf haben, zum Beispiel ihren eigenen Geburtstag oder den eines anderen Familienmitglieds, ihren Hochzeitstag und so weiter.«
»Aha.«
»Aber es ist tausendmal schwieriger, das Geheimnis von Zahlenschlössern zu lösen als die Geheimschrift zu entziffern, die Soleen in ihrem Tagebuch benutzt hat.«
Ich habe Sindri Kopien von einigen Seiten des Buches gegeben. Um sich daran zu versuchen. Allerdings ohne Hoffnung auf einen so schnellen Erfolg.
»Hast du die Geheimsprache wirklich dechiffriert?«
»Ja. Gestern Abend ging mir plötzlich auf, dass es sich um eine einfache Buchstabenverschiebung handelt. Ich habe früher oft solche Nachrichten geschrieben, als ich mit anderen Kindern Geheimagent gespielt habe.«
»Was für eine Buchstabenverschiebung?«
»Im Tagebuch handelt es sich um ein Weiterrücken um vier Buchstaben. A bedeutet D, B bedeutet E, C steht für F, Z für C und so weiter. Piece of cake. «
»Liebster Sindri, du bist mein allerbester Cousin.«
Er lacht. Ein wenig peinlich berührt. Wie immer, wenn ich ihn in den höchsten Tönen lobe. Und gibt mir zum Schluss einen guten Rat, um mich nicht verwirren zu lassen:
»Schreib das ganze isländische Alphabet in eine Reihe. Darunter schreibst du das Alphabet noch einmal, aber beginnst beim vierten Buchstaben und endest beim dritten. Druck es dir aus und lege es dir neben das Tagebuch, wenn du es übersetzt, dann klappt es mit dem Lesen viel besser. Das habe ich früher auch immer so gemacht.«
Ich befolge seinen Rat. Öffne umgehend die oberste Schreibtischschublade. Hole das Tagebuch heraus. Und beginne, das zu dechiffrieren, was Soleen am letzten Tag ihres Lebens aufgeschrieben hat.
Sie hat am Morgen des 6. August, einem Freitag, einen Schwangerschaftstest in einer Apotheke gekauft. Hat ihn am Mittag benutzt. Und erhielt das von ihr am meisten gefürchtete Ergebnis:
» Ich bin schwanger. Er bringt mich um. «
Ich starre lange auf den zweiten Satz.
Ob sie ihren Vater meinte?
Fahre mit der Dechiffrierung der feinen Schrift fort. Lese die letzten Worte, die sie an jenem verhängnisvollen Freitag geschrieben hat:
» 18 Uhr. «
Sie hatte eine Verabredung. Aber mit wem?
Wahrscheinlich mit dem Kindsvater. Wer auch immer es ist.
Ich gucke mir auch die Tagebucheintragungen von Mai und Juni an. Als das Kind entstanden sein muss. Zwei Einträge im Juni wecken meine Aufmerksamkeit:
4. Juni:
» Will heute Abend mit G auf eine irre Party. «
G?
Ist es Gunnhildur?
5. Juni:
» Gott hat mich verlassen. «
Soleen hat im Juni keine weiteren Einträge in ihr Tagebuch geschrieben. Oder Juli. Keine ausführlicheren Erläuterungen für diese dramatische Erklärung.
Ist sie mit Gunnhildur auf eine Party gegangen? Ist dort etwas vorgefallen, was sie dazu gebracht hat, diese furchtbaren Worte, die so verzweifelt klingen, zu schreiben?
Da geht mir auf, dass ich ungeheuer wenig von Gunnhildur weiß. Habe nur Mákis Wort, dass sie eine hundertprozentige Zeugin ist.
Ich greife zum Telefon. Versuche, das Mädchen anzurufen.
Sie geht nicht an ihr Handy.
Also schicke ich ihr eine SMS. Bitte sie, sich so schnell wie möglich bei mir zu melden.
»Wichtig.«
Klingele im Anschluss bei Máki an, der sich herausredet.
»Ich meinte nur, dass Gunnhildur okay war, als
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