Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
verhaften lassen können.
Da man Eckhardts Aussagen nicht widerlegen kann, versucht die Polizei über einen erneuten Aufruf in den Zeitungen, die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben zu überprüfen. Die Wienerinnen und Wiener, die regen Anteil an dem Fall nehmen, suchen nun fieberhaft nach einem Phantom, dessen Beschreibung sich „Adi“ aus den Fingern gesaugt hat: Der etwa 175 Zentimeter große, schlanke, bartlose Mann habe einen „sympathischen Wiener Dialekt“ gesprochen und einen kamelhaarfarbenen Dufflecoat getragen.
Darüber hinaus suchen die Kriminalisten nach einem möglichen Käufer des Brillantringes, nach Zeugen, die Eckhardt auf dem Nachhauseweg gesehen haben, und nach der Mordwaffe – dem stumpfen Gegenstand, den man noch immer nicht kennt. Sogar die Kanalbrigade tritt in Aktion, wird aber nicht fündig. Die Ermittler durchstöbern sowohl Artholds als auch Eckhardts Umfeld – kein Mann im Dufflecoat. Dafür aber Hinweise, dass die mittellose Adrienne just am Tag nach dem Mord eine Armbanduhr im Versatzamt ausgelöst, Futterstoff für einen Mantel gekauft und sich reichlich mit Lebensmitteln eingedeckt hat. Und all das, obwohl ihr Geldmangel wenige Stunden vor dem Mord noch so eklatant gewesen ist, dass sie eine Lampe für wenige Schilling versetzt hat.
Ohne sie über die ermittelten Fakten zu informieren, lassen die Beamten Adrienne eine detaillierte Einnahmen-Ausgaben-Rechnung erstellen. Sie subtrahiert und addiert, sie schreibt hier hin und dort hin, und am Ende bleibt ein Fehlbetrag von 200 Schilling übrig. Sie nimmt es ungerührt zur Kenntnis. Auch als die Ermittler einen weiteren Trumpf ausspielen – den Schopfbraten, die Marmeladengläser, die Manner-Schnitten, die in der Mordnacht aus Artholds Geschäft gestohlen worden sind und die man in ihrer Wohnung gefunden hat –, erklärt sie seelenruhig, der Mann im Dufflecoat habe sie aufgefordert, die Lebensmittel mitzunehmen, um einen Raubmord vorzutäuschen. Genauso wie im Übrigen auch dieser Fremde es war, der das Geld aus der Registrierkasse genommen und ihr die Scheine „für den erlittenen Schrecken“ in die Hand gedrückt habe.
Was folgt, ist ein Geständnis auf Raten, bei dem Adrienne unablässig neue Flunkereien aus dem Hut zaubert. Letztlich tappt sie bei einer harmlosen Frage in die Falle: Ob sie das Licht abgedreht habe, als sie das Geschäft verließ, wollen die Ermittler wissen. Sie bejaht. Und der Unbekannte – der sei dann im Finsteren zurückgeblieben?
Da erkennt Eckhardt, dass sie ihre Geschichte vom Mann im Dufflecoat, die sie eineinhalb Wochen lang vor der Polizei aufrechterhalten hat, nichts mehr taugt. In allen Einzelheiten gesteht sie den grausamen Mord. Eine Bluttat, die sie ganz alleine, ohne fremdes Zutun, ausgeführt hat.
Abartiger Sex und Geld
Zum ersten Mal begegnete sie ihrem späteren Opfer 1944. Ihre Großmutter schickte die damals 15-Jährige öfters zum Einkaufen in Artholds Geschäft. Der Kaufmann zeigte sich großzügig und fettete die dürftigen Mengen auf den Lebensmittelkarten immer wieder durch Extraportionen auf.
Das nächste Mal traf Adrienne den Gemischtwarenhändler 1950 beim Pferderennen in der Freudenau. Er war zwischenzeitlich zum „Cadbury-König“ aufgestiegen und beeindruckte die nunmehr 21-Jährige mit seinem Geld. Arthold lud sie ins Kino, ins Kaffeehaus und in Nachtlokale ein, aber eine intime Beziehung kam für Adrienne nicht in Frage. Der wesentlich Ältere sagte ihr mit seinem unkultivierten Benehmen als Mann nicht zu. Das erkannte Arthold und reduzierte den Kontakt. So stand Adrienne, die weiterhin von der Spendierfreudigkeit ihres Bekannten profitieren wollte, eines Tages vor verschlossener Tür. Erst nach längerem Klopfen öffnete Arthold das Geschäft. Im Hinterzimmer sah Adrienne eine junge Frau – offenkundig eine Prostituierte, die Arthold vor ihren Augen auszuziehen begann. Als er die angeekelte Eckhardt in die sexuellen Handlungen involvieren wollte, verpasste sie ihm eine Ohrfeige und drohte, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Das wirkte, er ließ sie gehen. Aber von nun an hegte Adrienne einen tiefen Hass gegen den Mann und beschloss, sich eines Tages an ihm zu rächen.
Im November 1952 schließlich lief sie Arthold neuerlich über den Weg. Und sie biederte sich wieder bei ihm an, denn als „Gesellschaftsdame“, wie sie sich selbst bezeichnete, war sie nicht eben erfolgreich. In den Nachtlokalen verdiente „Adi“ lediglich die Prozente aus den Konsumationen –
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