Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
schulde. Schließlich sei die Prügelstrafe für Dienerinnen von niedriger Herkunft allgemein üblich. Möglicherweise wäre sie mit diesem Argument wie viele andere Mörder und Sadisten unter ihren Standesgenossen unbehelligt davongekommen, hätte sie sich bloß mit Bauernmädchen begnügt und nicht auch aristokratische Jungfrauen zu ihren nächtlichen Blutorgien gelockt.
Die weit verzweigte, einflussreiche Familie Báthorys tut jedenfalls ihr Möglichstes, um den Fall unter den Teppich zu kehren. Doch der König persönlich gibt den Auftrag zum öffentlichen Prozess, der von 2. bis 7. Jänner 1611 in der damals ungarischen, heute slowakischen Stadt Bytča stattfindet. Freilich wickelt man das Verfahren fern der gegenwärtigen Rechtsstaatlichkeit ab. Belastenden Aussagen wird, wie zu jener Zeit üblich, mit Folter nachgeholfen, die Hauptangeklagte hat keine Möglichkeit, sich zu äußern, von anwaltlicher Vertretung oder gerichtsmedizinischer Untersuchung ganz zu schweigen. Am Ende hagelt es Todesurteile: Ficzkó, der zwergenhafte Lakai mit dem Geburtsnamen János Ujváry, wird geköpft und seine Leiche auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Kammerzofe Ilona Jó stirbt wie eine weitere Mittäterin in den Flammen, nachdem man ihr die Finger abgerissen hat.
Elisabeth Báthory selbst entgeht dem Tod durch das Schwert. Allerdings wird das ursprüngliche Urteil in eine noch härtere Strafe umgewandelt: Die nunmehr 51-Jährige wird in ein Turmzimmer auf Burg Čachtice gebracht und dort eingemauert. Nur ab und zu reicht man ihr durch ein kleines Loch in den ansonsten vollständig geschlossenen Wänden Wasser und Brot. Die „Blutgräfin“ vegetiert bis zu ihrem Tod am 21. August 1614 im finsteren Verlies.
Seither nehmen die literarischen und filmischen Bearbeitungen, die Elisabeth Báthorys Biografie zum Dracula-Märchen ausschmücken, kein Ende. Die seriöse Forschung kann sich dagegen nur bedingt auf die Prozessakten stützen. So wittern einige Historiker gar eine Intrige des Hauses Habsburg: Die beiden Adelsgeschlechter wären seit langem verfeindet gewesen, und György Thurzo hätte im Auftrag Matthias II. eine hochadelige Witwe mit strategisch wichtigen Besitztümern kaltgestellt – eine Witwe noch dazu, die in Zeiten des unumstrittenen Patriachats als selbstbewusstes Familienoberhaupt auftrat.
Wie auch immer, die meisten Historiker halten Elisabeth Báthory für schuldig. Und während Burg Čachtice seit dem Gerichtsprozess dem Verfall preisgegeben ist, trotzt das „Ungarische Haus“ in der Wiener Augustinerstraße nach mehrmaligem Besitzerwechsel weitgehend unbeschadet den Jahrhunderten.
Geistige Verirrungen
Fälle, die die dunklen Seiten der menschlichen Seele offenbaren: Die Bluttat einer Geisteskranken, die Gerichtsmedizin und Polizei vor eine nahezu unlösbare Aufgabe stellt. Ein notorisch verwöhntes Kind, das sich zum Muttermörder mit paranoider Schizophrenie entwickelt. Ein verwahrloster Jugendlicher, dessen Gedächtnis der Alkohol einen verhängnisvollen Streich spielt. Und ein zum Massenmörder hochstilisierter geistig Behinderter, der im Zuge von Menschenexperimenten klammheimlich beseitigt wird.
Drei Zentimeter bis zur Aufklärung
Dienstag, 17. Juli 1922. Ein drückend heißer Tag, an dem man möglichst früh aus dem stickigen Büro flüchtet, oder – als Gerichtsmediziner – aus dem Seziersaal. Als am Nachmittag das Telefon in der Sensengasse 2 schrillt, hebt keiner der erfahrenen Professoren ab, sondern ein absoluter Neuling.
„Wir haben ein Blutverbrechen zu klären“, schnarrt der Chef des Wiener Sicherheitsbüros, Hofrat Dr. Wahl, „ich brauche dringend einen Gerichtsmediziner! Wenn schon der Haberda nicht da ist“ – gemeint ist der hochgeachtete Institutsvorstand Prof. Albin Haberda –, „dann müssen halt Sie mitfahren.“
Der Neuling ist Haberdas jüngster Assistent, Dr. Anton Werkgartner, 32 Jahre alt. Mit Sezierbesteck und Fotoapparat ausgerüstet, steigt er wenig später in den Polizeiwagen, in dem ein sichtlich verärgerter Dr. Wahl sitzt. Die Fahrt geht über den Rennweg auf die Simmeringer Haide, zu einem staubigen Feldweg, zwischen der heutigen A4 und dem Friedhof Simmering gelegen. Zwei Amtsärzte warten schon dort, im Brustton der Überzeugung erklären sie: Es handle sich um die zerstückelte Leiche einer jungen Frau, und der Grad ihrer Verwesung zeige, dass sie sich mindestens seit dem Winter hier befände.
Grausiger Fund im Feld
Werkgartner schweigt. Ein
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