Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
nach strengster Bestrafung verlangt, kommt es nicht zum Prozess gegen Marie Mikschofsky. Das Verfahren muss wegen Unzurechnungsfähigkeit der Angeklagten eingestellt werden. Erst jetzt erkennen die Psychiater, wie gefährlich der Geisteszustand der Frau tatsächlich ist. Die Tore des „Irrenhauses“ schließen sich endgültig hinter ihr.
Karriere eines Fehlgeleiteten
Und Dr. Anton Werkgartner? – Er hat sich bei diesem Aufsehen erregenden Kriminalfall von 1922 die ersten Sporen verdient. Sechs Jahre später legt der gebürtige Mauthausener seine Habilitationsschrift vor und wird Professor. Nach dem Tod Albin Haberdas 1933 führt er vorübergehend die Wiener Lehrkanzel und rechnet sich gute Chancen aus, Haberdas Nachfolger zu werden. Doch wie viele andere österreichische Ärzte jener Tage hat Werkgartner früh Gefallen an der deutschnationalen Ideologie gefunden und daraus kein Hehl gemacht. Schon 1930 hat er eine Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation gegründet, 1936 tritt er der NSDAP und der SA bei. Die Konsequenz: Man zieht den Schuschnigg-Parteigänger Fritz Reuter vor.
Nach dem Anschluss, als man Reuter aus politischen Gründen verhaftet und nach wenigen Tagen in den dauernden Ruhestand entlässt, übernimmt Werkgartner die Leiterfunktion erneut kommissarisch. Bei der endgültigen Besetzung 1939 wird er aber wieder ausgestochen, diesmal von Philipp Schneider, einem Günstling Heinrich Himmlers. Also wechselt er auf den ihm angebotenen Direktorposten an der Gerichtsmedizin Graz. Während des Dritten Reiches fungiert Werkgartner auch als Richter am Erbgesundheitsgericht, wo er über Zwangssterilisationen aus „rassenhygienischen“ Gründen entscheidet.
1946 sämtlicher Ämter enthoben, will der Gerichtsmediziner trotz seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht auf die Fortsetzung seiner Universitätslaufbahn verzichten. 1952 ist es so weit: Anton Werkgartner wird abermals zum Direktor des Grazer Instituts bestellt. Er bleibt es bis 1956, wird sogar Dekan der dortigen Medizinischen Fakultät und erhält als Krönung 1962 das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.
1967, im abgeklärten Alter, fasst der durchaus charismatische Forscher seine Karrierestagnation an der Wiener Gerichtsmedizin beschönigend zusammen: „Nach dem Tod meines Lehrers Haberda war ich angeblich zu jung, 1939 war ich zu wenig Nazi, und 1945 meinten maßgebliche Persönlichkeiten, dass ich zu viel Nazi gewesen sei.“ An das „Zuviel“ hat er sich – wie etliche andere auch – nicht mehr erinnern wollen.
Der fehlende Bluterguss
An einem Samstagmorgen im September 2009 finden Bewohner eines Hauses in Wien-Leopoldstadt auf der Treppe zum Keller einen reglosen älteren Mann und verständigen die Polizei. Die eintreffenden Beamten stellen fest, dass bereits die Leichenstarre eingetreten ist und Totenflecke vorhanden sind. Außerdem fällt ihnen eine Wunde am Hinterkopf auf, von der Blut ins Gesicht und hinters Ohr gelaufen ist. Diese Abrinnspuren erscheinen den Beamten bedenklich. Sie halten es für möglich, dass die Lage der Leiche verändert worden sein könnte, und fordern deshalb einen Gerichtsmediziner an.
Während die Polizisten ihre Ermittlungen im Stiegenhaus fortführen, kommt ein junges Paar aus einem oberen Stockwerk herunter. Das Auftreten der Jugendlichen ist mehr als unangepasst, es deutet auf Geldmangel, Drogenkonsum und Alkoholmissbrauch hin – kurz: auf den unteren sozialen Rand. Überdies scheint der Bursche, Pascal Petronitsch*, seine Aggressionen nur schwer unterdrücken zu können. Als ihm bewusst wird, was vor sich geht, mault er in die Richtung des Toten: „Schlaf woanders!“
Ein Polizist hört die bissige Bemerkung und fragt den Burschen, ob er den Mann denn schon einmal gesehen habe. „Ja“, entgegnet Pascal, „der ist gestern Abend schon da gelegen.“ Weil der Polizist Blutspuren auf dem Sweatshirt und dem Hosenbein des 17-Jährigen entdeckt, fordert er eine Erklärung. Darauf Pascal lässig, auf seine Freundin deutend: „Die Depperte hat mir vorhin irrtümlich eine auf die Nase gegeben.“
Seltsam nur, dass bei näherer Betrachtung keine Blutkrusten an Pascals Nase haften. Auch die Nachschau in der Wohnung des Freundes, in der das Paar übernachtet hat, ergibt keinerlei Hinweise auf den Nasenstüber. Keine blutigen Taschentücher, keine blutverschmierte Bettwäsche, nichts. Grund genug, Pascal Petronitsch und seine Freundin auf dem Kommissariat
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