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Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)

Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)

Titel: Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schimmer
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einer genaueren Befragung zu unterziehen.
    Verschiedenste Variationen
    Inzwischen hat man die Identität des Toten festgestellt. Es ist ein Bewohner des Hauses, der 63-jährige Rentner Ferdinand Kaltenegger*. Auch er macht einen schmuddeligen Eindruck und riecht auffällig nach Alkohol.
    Gerichtsmediziner Prof. Christian Reiter, der zum Lokalaugenschein eintrifft, registriert ausgeprägte Totenflecke, die sich mit den Fingern wegdrücken lassen, und misst die Umgebungstemperatur sowie die Rektaltemperatur der Leiche – Daten, aus welchen er später die ungefähre Todeszeit kalkuliert. Jetzt, beim Hochziehen der Kleidung, findet Reiter an der Hinterseite der rechten Schulter eine blutunterlaufene Hautabschürfung. Die Form der Verletzung passt zum Endknauf des Stiegengeländers, der sich über der rechten Schulter des Toten befindet. Der Gerichtsmediziner inspiziert noch die drei Zentimeter lange Rissquetschwunde am Hinterkopf und spricht die Beschreibung der Blutabrinnspuren ins Diktiergerät. Dann lässt er den Leichnam ans Kaiser-Franz-Josef-Spital überführen, wo er die Obduktion vornimmt.
    Unterdessen gibt Pascal Petronitsch auf dem Polizeikommissariat wie ein rastloser Musiker unzählige Variationen ein und desselben Themas zum Besten. Die erste: Er habe mit anderen Jugendlichen in der Wohnung des Freundes eine Party gefeiert, auf der man eimerweise Bier und Wein sowie jede Menge Härteres in sich hineinschüttete. Gegen 22.00 Uhr habe er gemeinsam mit seiner Freundin die Wohnung verlassen, um sich bei seiner Mutter, die in der Nähe wohnt, umzuziehen. Als er mit Jasmin eine Stunde später wieder zurückgekehrt ist, sei der Mann dann im Kellerabgang gelegen. Er habe sich nichts dabei gedacht und weiter gefeiert. In dieser ersten Variante ist noch das Mädchen die versehentliche Nasenschlägerin. Die Aussage führt sich aber bald ad absurdum, denn die Freundin gibt zu, dass Pascal sie diesbezüglich zur Lüge angestiftet hat.
    In der zweiten Version taucht ein gewisser Blagomir* als Peiniger auf: Auf dem Weg von seiner Mutter zurück zur Wohnung des Freundes sei er, Pascal, von Blagomir aufgehalten worden. Der habe ihm eine heftige Ohrfeige verpasst und ihn zu Boden gestoßen, wobei er sich das Knie aufgeschlagen habe und die Nase zu bluten begann. Ob ihn der Vorfall denn nicht aufgeregt habe, erkundigen sich die Ermittler. „Na, klar hatte ich eine Stinkwut im Bauch“, erklärt Pascal. „Deshalb bin ich ja dann mit meiner Mutter derart in Streit geraten, dass sie die Funkstreife gerufen hat.“
    Dass er die Zeitabläufe durcheinanderbringt, fällt dem Burschen gar nicht auf. Die Polizisten aber sind argwöhnisch: Wenn einer ständig neue Geschichten erfindet, hat er etwas zu verbergen. Das Erscheinen der Funkstreife bei der Mutter lässt sich jedenfalls einwandfrei nachprüfen: Pascal wollte sich tatsächlich am Vorabend bei ihr umziehen. Die Mutter ließ ihn aber nicht in die Wohnung, worauf der wütende Sohn mehrmals gegen die Tür trat, die Frau die Polizei rief und die Beamten dem Burschen gegenüber die Wegweisung aussprachen. Nach diesem Vorfall ging Pascal völlig in Rage zur Party zurück.
    Hier haken die Ermittler jetzt ein. Sie fragen weiter und bohren so lange nach, bis sie schließlich ein Geständnis bekommen: Er, Pascal, habe nach dem Streit mit der Mutter nur noch seine Wut am Nächstbesten abreagieren wollen. Auf der Straße sei er niemandem begegnet, aber im Stiegenhaus beim Kellerabgang war dann dieser alte Säufer, der ihn grundlos beschimpft habe. „Dem habe ich einen heftigen Fußtritt verpasst, sodass er die Stiege hinuntergestürzt ist. Dann bin ich wieder hinauf zur Party.“ Gegen 1.00 Uhr nachts habe ihn aber das Gewissen geplagt. Da habe er kurz im Stiegenhaus nachgeschaut und sich eingeredet, dass der Mann, der immer noch auf der Kellertreppe lag, schlafe.
    Knick im Klischee
    Aufgrund des abgelegten Geständnisses wird Pascal Petronitsch festgenommen. Die Polizei präsentiert der Öffentlichkeit einen schnell geklärten Fall, den die Medien gerne aufgreifen – er passt ja so gut ins Klischee von der Verkommenheit der heutigen Jugendlichen: Die brechen Schule und Lehre ab, arbeiten nichts und saufen und kiffen sich zu, bis sie nicht mehr wissen, wer sie sind – das sehen die als ihren Lebensinhalt.Zugegeben, Pascal Petronitsch, der aus katastrophalen Familienverhältnissen stammt, lässt sich durchaus in diese Schublade stecken. Wahr ist aber auch, dass der Bursche sich gerade

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