Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
wegen seiner Alkoholexzesse an die Vorkommnisse des betreffenden Abends nicht erinnern konnte. Zwar ergab ein Alkomat-Test bei Pascals erster Einvernahme einen Nullwert, aber nach den Angaben des Burschen und seiner Freunde sowie den Berechnungen von Prof. Christian Reiter dürfte Pascals Blutalkoholgehalt zum fraglichen Zeitpunkt rund drei Promille betragen haben – ein Wert, der nach Ansicht des Gerichtsmediziners gereicht hat, um bei dem Jugendlichen erhebliche Störungen des Gedächtnisses hervorzurufen. Darüberhinaus war Pascal dumm genug, sich in den polizeilichen Vernehmungen um Kopf und Kragen zu reden.
Die Konsequenz folgt auf dem Fuß: Einige Tage später widerruft der Bursche sein Geständnis. Der Rentner Ferdinand Kaltenegger habe nicht mit ihm geschimpft, er sei vielmehr dort schon so gelegen, wie die Polizei ihn am nächsten Morgen vorgefunden hat. Er, Pascal, habe lediglich eine Metalllatte, die im Stiegenhaus lag, hinuntergeworfen und gesagt: „Net schlafen!“ Getroffen habe er Kaltenegger mit der Latte aber nicht.
Gerichtsmediziner als Entlastungszeuge
Die Todeszeitkalkulation legt nahe, dass Ferdinand Kaltenegger etwa zwischen 22.00 und 23.00 Uhr verstorben ist – also in jenem Zeitfenster, in dem Pascal Petronitsch außerhalb der Wohnung seines Freundes unterwegs war. Der Rentner hatte 2,73 Promille Alkohol im Blut und war somit betrunken genug, um auch ohne fremdes Zutun die Treppe hinunterzustürzen.
Überraschend ist, dass Kaltenegger einen ganz frischen Herzinfarkt erlitten hat. Diese Tatsache allein entlastet Pascal aber nicht. Vielmehr stellt sich die Frage, wie es zu diesem Infarkt gekommen ist: durch die Aufregung über den Streit mit dem Jugendlichen, durch den Schock beim Sturz oder ausschließlich durch vorbestehende gesundheitliche Beeinträchtigung?
Gerichtsmediziner Reiter nimmt den Toten erneut in Augenschein. Dabei konzentriert er sich zunächst auf die Beine, denn Pascal hat ja in seinem Geständnis behauptet, Kaltenegger einen Fußtritt verpasst zu haben, der zu dessen Sturz über die Treppe geführt haben soll. Trotz intensiver Suche findet Reiter keinen Beleg für eine Gewalteinwirkung in diesem Bereich. Alle Verletzungen Kalteneggers lassen sich durch einen Sturz über die Treppe ohne Fremdeinwirkung erklären: Die blutunterlaufene Hautabschürfung an der rechten Schulter ist durch den Aufprall am Geländerknauf entstanden, also als das Herz noch schlug. Die Schürfung an der linken Kinnseite rührt vom Aufschlagen des Gesichts auf den Fußboden her. Hier jedoch fehlt ein Bluterguss, was bedeutet, dass der Kreislauf bereits zum Stillstand gekommen war, als der Tote zu liegen kam.
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kalteneggers Verletzungen nicht seinen Tod erklären. Kein lebenswichtiges inneres Organ wurde durch den Sturz in Mitleidenschaft gezogen“, erläutert der Gerichtsmediziner. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Herzens zeigt sich aber ein akuter Herzinfarkt als Folge einer Arteriosklerose und einer Verdickung beider Herzkammern. Prof. Reiter: „Demnach ist Ferdinand Kaltenegger eines natürlichen Todes gestorben und der sehr unwahrscheinliche Fall, dass Pascal Petronitsch beim Sturz nachgeholfen hat, erweist sich somit als irrelevant.“
Nach zwei Monaten in Untersuchungshaft wird der Jugendliche freigelassen und das Verfahren gegen ihn eingestellt. Vom wenig spektakulären Ende der Geschichte nehmen die Medien kaum Notiz – es passt ja nicht ins Klischee. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens Pascal Petronitsch selbst seine Lehren aus den Ereignissen gezogen hat.
Ein kleiner Prinz
Adrian Kertész* ist der Augenstern seiner Eltern. Der einem alten ungarischen Adelsgeschlecht entstammende Vater zieht den hochintelligenten Buben seinen beiden Töchtern aus erster Ehe vor. Mutter Rebeka*, ebenfalls Ungarin, liebt ihr einziges Kind abgöttisch und nennt ihn von klein auf ihren „Prinzen“. Adrian ist drei, als das Paar sich 1970 scheiden lässt. Rebeka Kertész hat mittlerweile eine Boutique in Wien-Währing eröffnet und verkauft erfolgreich exklusive Modeartikel. So fehlt es dem Jungen, der bei ihr bleibt, weder an materiellem Wohlstand noch an liebevoller Fürsorge. Er wird nach Strich und Faden verwöhnt und wächst zum unauffälligen Teenager heran.
Auch beim Bundesheer macht Adrian keine Probleme. Er bringt es zwar nur bis zum Fähnrich und schlägt danach die Laufbahn als Reserveoffizier ein, aber alles andere schafft er mit links –
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