Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
Dass er mit dem tropfenden Sack eine Blutspur auf dem Gehsteig zieht, fällt ihm nicht auf. Wie von Sinnen zertrümmert der 26-Jährige das schwere Glas der Auslage und drapiert in deren Mitte den Schädel der Mutter – auf den Hirschfänger gespießt, als wäre er eine Jagdtrophäe.
Im Inneren der Boutique wütet Adrian weiter. Schleudert Geschäftsbücher zu Boden, reißt Kleider von den Bügeln und Schuhe aus den Schachteln, wirft alles durcheinander und teilweise in den Schanigarten eines benachbarten Lokals. Dabei grölt er fortwährend „Scheiß Frau, scheiß Frau!“ und versucht, die Kleidungsstücke anzuzünden. Der geschockte Lokalbesitzer von nebenan ruft ebenfalls die Polizei. Wenig später überwältigen mehrere Beamte den Tobenden, zwingen ihn bäuchlings auf den Asphalt und fesseln ihn hinter dem Rücken mit Handschellen.
Wahnvorstellungen eines Schizophrenen
Bei den Vernehmungen stellt sich schnell heraus, dass Adrian Kertész psychisch gestört ist. Er ist zwar voll geständig, spricht aber mit übersteigertem Spott: „Ich weiß, wie man Menschen tötet. Vielleicht werde ich ja jetzt zum Leutnant befördert.“ Er habe seine Mutter umgebracht, um die Welt von diesem Teufel zu befreien, der alles irdische Gold hätte an sich reißen wollen, erklärt der Informatikstudent. Überhaupt seien alle Computer vernetzt, Aids sei nichts weiter als eine mathematische Formel und gegen ihn im Speziellen sei eine große Verschwörung im Gange.
Mehrere Male berichtet Adrian von einer übersinnlichen Stimme, die ihm den Mord an der Mutter befohlen habe. Der auf Zahlen Fixierte sieht in Rebekas Geburtsdatum ein Zeichen des Satans. „Sie hätte die Weltherrschaft übernommen, hätte nicht ich die Menschheit vor ihr gerettet!“ Bis in alle Einzelheiten beschreibt der junge Mann seine Wahnsinnstat. „Ich musste sie genau so zerstückeln, sonst wäre der Teufel wiederauferstanden“, begründet er seine Handlungen nach dem Mord.
Bald wird Adrian Kertész aus seiner Zelle in die Spitalsabteilung des Landesgerichtes verlegt, wo er unter ständiger Beobachtung durch das Pflegepersonal steht. Die Konsiliar-Psychiaterin diagnostiziert bei dem Studenten eine schwere Geisteskrankheit: paranoide Schizophrenie. Dass er keine Reue zeigt, ist für die Ärztin ein Symptom seiner Psychose. Die Denkstörungen, der Verfolgungswahn, die akustischen Halluzinationen – alles typisch für einen Schizophrenen.
Als Adrian sich neun Monate später vor Gericht verantworten muss, bescheinigt man ihm seine Unzurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat. Deshalb kann er nach Paragraf 21 Absatz eins des Strafgesetzbuches nicht zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Die Experten empfehlen dringend, den Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unterzubringen, da bei ihm ein erneuter Aggressionsausbruch zu befürchten ist. So landet Kertész für unbestimmte Zeit in der geschlossenen Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe – im für die Forensische Psychiatrie reservierten Pavillon 23.
Das Gesetz sieht für Gewalttäter wie den schizophrenen Muttermörder eine jährliche Überprüfung des psychischen Zustandes vor. Dabei prognostizieren Gerichtssachverständige und Ärzte den voraussichtlichen weiteren Krankheitsverlauf und stellen fest, ob eine stationäre Unterbringung noch gerechtfertigt ist. Bei Adrian Kertész ergibt eine solche Untersuchung im Sommer 1995, dass der junge Mann noch lange nicht als geheilt gelten kann.
Dennoch glaubt ein Nachbar von Rebeka ungefähr zu dieser Zeit seinen Augen nicht zu trauen, als er im Stiegenhaus auf Adrian trifft, der ihn freundlich grüßt. Das unerwartete Auftauchen des jungen Mannes so bald nach dem Mord löst bei den Hausbewohnern in der Gentzgasse tiefe Beunruhigung aus. Sie fragen bei den Behörden nach und erfahren, dass Adrian unter Aufsicht eines Therapeuten stundenweisen Ausgang für die Räumung der Wohnung seiner Mutter erhält. An eine Entlassung denke man in seinem Fall freilich nicht.
Bei seiner Behandlung in der Psychiatrie macht Kertész große Fortschritte. Er spricht gut auf die verordneten Medikamente an, seine Wahnvorstellungen verschwinden, und der Patient redet bereitwillig über seine schwierige Beziehung zur Mutter sowie über den Mord. So erfolgen weitere Lockerungen, Adrian darf öfters alleine ausgehen, Vorlesungen an der Uni besuchen und gelegentlich bei Freunden übernachten. Noch während seines Klinikaufenthaltes baut
Weitere Kostenlose Bücher