Mord inclusive
Mäuschen in einem riesigen Garten.
Ich machte ein paar Fotos, obwohl ich wusste, dass ich die Schönheit und Größe der Halle nie erfassen konnte. Ich betrachtete unsere Reisegruppe. Aller Augen waren nach oben gerichtet. Die einzige Ausnahme bildete Mohamed. Er stand mit hängenden Schultern, die Hände in den Taschen, etwas abseits und spähte in die heraufziehende Dämmerung hinaus. Er kam mir nervös und gereizt vor. Plötzlich schaute er in meine Richtung. Ich drehte mich erschrocken um und machte rasch ein Foto von Kyla, die gerade eine Säule bewunderte.
Anni winkte mit Hello Kitty, und wir folgten ihr zwischen niedrigen Mauern, vorbei an einem riesigen Obelisken, der zerborsten am Boden lag, in einen offenen Hof. Auf der linken Seite sahen wir einen rechteckigen See voll blauen Wassers, das im schwindenden Licht des Tages langsam eine graue und purpurne Färbung annahm. Mitten in dem Hof kroch ein riesiger Skarabäus auf ein großes Podest. Dutzende Touristen umkreisten es, die einen in Uhrzeigerrichtung, die anderen entgegengesetzt. Verständnislos blickten wir auf dieses Schauspiel.
Anni musste lächeln. »Die Legende sagt, wenn Sie den Skarabäus siebenmal umrunden, dann geht Ihr größter Wunsch in Erfüllung. Ich empfehle Ihnen sehr, es zu versuchen. Schaden kann es nicht.«
»In welche Richtung sollen wir gehen?«, fragte Nimmi.
»Unbedingt entgegen dem Uhrzeigersinn. Sonst funktioniert es nicht.«
Sie nannte uns noch ein paar wichtige Höhepunkte, die wir nicht übersehen sollten, und entließ uns mit der Weisung, in einer halben Stunde wieder bei dem Skarabäus zu sein. Dann wollten wir uns gemeinsam eine Ton- und Lichtshow ansehen. Die meisten begannen nun schwatzend und lachend ihre Runden um den Skarabäus zu ziehen. Chris und David konnten das nur rennend tun, und ihre Turnschuhe wirbelten Staubwolken auf.
Ich schaute mich nach Mohamed um. Der verschwand gerade hinter dem liegenden Obelisken. Ich warf Kyla einen Blick zu und eilte ihm nach. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich, dass sie eine Sekunde gezögert hatte, sich dann aber den Carpenters bei der Umkreisung des Skarabäus anschloss.
Mohamed ging jetzt sehr schnell, und ich musste fast in Trab fallen, um mit ihm Schritt zu halten. Er schaute sich nicht um. Warum sollte er auch? Ich selbst dachte bei mir, dass ich mich jetzt wohl zum Narren machte. Wie sollte er darauf kommen, dass eines der Schäfchen, die er die ganze Woche vor sich hergetrieben hatte, ihm aus eigenem Entschluss nachlaufen könnte? Doch ich achtete darauf, genug Abstand zu haben, damit er mich nicht entdeckte, sollte er sich einmal umdrehen, und ihn trotzdem im Auge zu behalten. Das war nicht schwer. In Karnak wimmelte es von Touristen, die zumeist in kleinen Gruppen oder auch einzeln unterwegs waren und fotografierten.
Er ging eilig zurück durch die Säulenhalle, in der die winzigen Sterblichen wie Zwerge herumwuselten. An einer Säule blieb er stehen, als ob er auf jemanden wartete. Ich verharrte an einer Wand. Zwischen den Säulen und den Touristen war es nicht schwer, sich zu verstecken. Ich beschloss, im Schatten der Mauer stehen zu bleiben. Ich brauchte mich nicht zu beunruhigen. Er drehte sich nicht um, sondern starrte auf den Weg vor ihm. Immer wieder schaute er auf die Uhr. Die Schatten wurden länger. Allmählich fand ich die Sache langweilig. Weshalb stand er hier herum? Meine Blicke wanderten von ihm fort zu den Ruinen ringsum, die mich nach wie vor faszinierten. Dann war er plötzlich weg. Ich stürzte einige Schritte vorwärts, da hatte ich seine breiten Schultern wieder im Blick. Erleichtert fiel ich in den alten Abstand zurück.
Jetzt bog er in einen schmalen Weg ein, der am großen Obelisken der Hatschepsut vorbeiführte. Die Dämmerung schwand rasch, Mauern und Säulen warfen lange Schatten, die bereits die Nacht begrüßten. Ich schaute auf die Uhr. Die Zeit, da wir bei dem riesigen Skarabäus sein sollten, war fast heran. Aber ich konnte jetzt nicht umkehren. Mohamed ging langsamer, und wieder musste ich in den Schatten einer Säule treten. Keine Sekunde zu früh. Er schaute sich rasch um, ob ihn niemand beobachtete, und schlüpfte unter einer Kette mit dem Schild »Zutritt verboten« in sechs Sprachen hindurch. Ich zögerte. Dann tat ich das Dümmste, was mir je in meinem Leben passiert ist. Ich folgte ihm.
Ich habe einmal gehört, dass das menschliche Hirn etwas zu tun beschließt, bevor es einem bewusst wird. Eine Studie hat
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