Mord inclusive
flüsterte ich ihr zu. »Du hast recht, es ist lächerlich, aber vielleicht kannst du mich damit ein wenig aufheitern.«
»Ich will aber nicht, dass du Mohamed nachläufst. Denn solltest du recht haben, dann bringst du dich in echte Gefahr.«
»Ich möchte doch nur wissen, ob er sich mit jemandem trifft. Wir sind hier ständig unter Leuten. Was soll denn da passieren?«
Zehn Minuten später waren wir bereits auf dem Weg vom Parkplatz nach Karnak. Die gewaltigen Mauern des Tempels stiegen vor mir auf. Aus der Nähe wirkten sie schlicht und wenig beeindruckend.
Dann bogen wir um eine Reihe von Bussen und standen plötzlich auf der Sphinx-Allee.
Was soll ich sagen? Für ein paar großartige Momente vergaß ich alles – Mohamed, Schmuggel und Mord. Ich war in Karnak. Sphinxe mit Widderköpfen, die in majestätischem Schweigen auf niedrigen Podesten ruhten, säumten beide Seiten der breiten Prachtstraße zur Tempelanlage. Sie schützten den Zugang vor jedem Ankömmling – uralte Wächter aus grauem Stein. Die Zeit war wohl der einzige Feind, dem sie nicht standgehalten hatten. Einige waren nur wenig verwittert, ihre königlichen Gesichter starrten immer noch mit blicklosen Augen vor sich hin, aber die Köpfe anderer waren bereits zu Sand zerfallen, und nur noch die länglichen Löwenleiber waren übrig geblieben. Die Stimmen der Touristen, das Klicken und Surren der Kameras, das die Luft erfüllte, bedeuteten hier nichts. Wie gebannt blieb ich stehen, bis Kyla ungeduldig seufzte und mich am Ärmel zupfte. Wir gingen den anderen nach.
Anni gab wie stets eine gründliche Einführung zu diesem Ort, aber zum ersten Mal hörte ich kaum zu. Mehr als alle anderen Orte, die wir bisher besucht hatten, bewahrte Karnak das Wesen Ägyptens und seiner unermesslichen Vergangenheit. Kaum hatten wir den ersten Pylonen passiert, da fiel uns an einer dicken Mauer ein großer Erdhügel auf.
»Die Archäologen waren viele Jahre lang ratlos, auf welche Weise die alten Ägypter so gewaltige Mauern errichtet haben«, erläuterte Anni. »Es gab zahlreiche Theorien, aber keine Beweise. Mit den Geräten, die ihnen zur Verfügung standen, war nicht erklärbar, wie sie Steine von Hunderten und Tausenden Kilo Gewicht in solche Höhe bringen konnten.«
Wir alle nickten verständnisvoll. Wie sollten sie das selbst mit Hunderten von Arbeitern fertiggebracht haben?
Sie zeigte auf den Erdhaufen neben der Mauer. »Die Antwort wurde hier in Karnak gefunden. Unsere Vorfahren haben Erdhügel als Rampen benutzt, auf denen sie die Steinblöcke nach oben schoben. Vielleicht haben sie Baumstämme untergelegt, um sie hinaufzurollen. Es muss eine unglaubliche knochenbrechende Arbeit gewesen sein, aber sie war leichter, als die Blöcke anzuheben, selbst wenn sie einen Apparat ähnlich einem Kran gebaut haben könnten. War die Mauer hoch genug, wurde der Erdwall fortgeräumt. Sehr einfach, aber sehr klug. Aus unbekanntem Grund haben sie diesen letzten Haufen Erde liegenlassen. So konnte das Geheimnis entschlüsselt werden.«
Ich musste ein wenig lächeln, als ich den Stolz in ihrer Stimme hörte – Stolz auf die Entdeckung und auf die Klugheit ihrer Vorfahren, die etwas so Dauerhaftes in einem Land geschaffen hatten, das ihnen alle ihre Kräfte abverlangte, um überhaupt am Leben zu bleiben. Der Erdwall, das bescheidenste alte Zeugnis in diesem ganzen Komplex, war vielleicht das höchste Symbol der Geisteskraft und der Opfer, die sein Bau erfordert hatte.
Wir folgten Hello Kitty in die Säulenhalle, und alle Erdwälle waren augenblicklich vergessen. Als wir den zweiten Pylonen passiert hatten, fanden wir uns plötzlich in einem Wald von Steinsäulen wieder, die über zwanzig Meter hoch aufragten und exakte Reihen bildeten. Jede war wie eine Papyruspflanze gestaltet, trug am oberen Ende feine Blätter, war schön und rätselhaft. Sie wirkten schlank und zart, bis man näher herantrat und ihre tatsächliche Größe erkannte. Zehn Menschen mussten sich bei den Händen fassen, um ihren Sockel zu umschließen. Das Dach, das sie jahrhundertelang stützten, war lange verschwunden, aber Fenster mit dicken Querbalken darüber in einer zerfallenen Wand zeugten davon, dass es einst ein zweites Geschoss gegeben haben musste. Auf der Unterseite der Steine waren noch verblichene Farbreste zu erkennen, und die Wände schmückten Reliefs von Pharaonen und Göttern, Schlachten und Zeremonien. Die Touristen, die zwischen den Säulen umhergingen, wirkten wie
Weitere Kostenlose Bücher