Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
seinen Zehnten kassiert und die Autorität verkörpert. Und hier hatte der Geistliche gewohnt. Eves Haus stand am Ende eines von Bäumen beschatteten Kieswegs. Gegenüber erhob sich, inmitten eines vernachlässigten Friedhofs gelegen, die Kirche, zu der es einst gehört hatte. Sie war halb verborgen von den Bäumen, und Meredith konnte nur erkennen, daß sie aus der Spätgotik stammte und verlassen und zugesperrt zu sein schien. Das Pfarrhaus, soweit sie es hinter einer hohen Backsteinmauer und einem geschlossenen schmiedeeisernen Tor zu sehen bekam, war georgianisch mit einigen spätviktorianischen Beifügungen. Einige unansehnliche Rohre, die außen an der Fassade emporkletterten, legten Zeugnis von den Bemühungen vermutlich aus der Zeit Edward VII. ab, das Haus zu modernisieren. Eine Fernsehantenne auf dem Dachfirst zeigte, welche Prioritäten eine spätere Generation setzte.
Meredith stieg aus dem Wagen und fröstelte in der feuchten Kühle. Sie rieb sich die bloßen Unterarme, während sie zu den Fenstern im ersten Stock hinaufschaute. Hinter ihr säuselte der Wind elegisch in den Friedhofsbäumen, und ohne Vorwarnung flog aus den nahen Ästen etwas Großes auf und machte sich flügelschlagend davon. Meredith zuckte erschrocken zusammen, aber es war nur eine Ringeltaube, die auf der Fernsehantenne landete und sie angurrte. Meredith schnitt eine Grimasse und rüttelte an den Stäben des Einfahrtstores. Es war abgeschlossen, und jetzt sah sie, daß an einem Torpfosten eine durchlöcherte Metallscheibe sowie ein Knopf angebracht waren.
Und da war noch etwas anderes. An einem der Gitterstäbe hing eine braune Papiertüte an einem pinkfarbenen Satinband, das zu einer Schleife gebunden war, daran geheftet war eine kleine Karte von der Art, wie Blumenhändler sie den Blumensträußen beigeben, die sie auf Bestellung ausliefern. Merkwürdig und geradezu abstoßend war, daß die Karte einen schwarzen Rand hatte wie die Beileidskarten, die man an Kränzen oder letzten Blumengrüßen am Grab findet.
Meredith trat näher heran und musterte die Karte genauer. In Druckbuchstaben stand da: »Willkommen zu Hause, Sara«. Keine Unterschrift. Meredith runzelte die Stirn. Zweifellos hatte der Absender des anonymen Grußes beste Absichten gehabt, es war allerdings ein dummer Mißgriff, eine schwarz umrandete Karte zu nehmen. Erst jetzt merkte sie, daß der Boden der Tüte naß war. Was immer es ist, es tropft, dachte sie, streckte die Hand aus und berührte das durchweichte Papier.
Als sie die Finger zurückzog, waren sie klebrig und voll roter Flecken. Sie hielt vor Schreck die Luft an, zerrte an der Satinschleife und riß sie auf. Die Papiertüte fiel zu Boden und zerplatzte. Zum Vorschein kam eine scheußliche blutige Masse. Meredith ging in die Hocke und zog das Papier vorsichtig auseinander. Es war das Herz eines Ochsen.
»Was für ein absolut widerlicher Streich«, sagte sie leise und war froh, daß sie diese ekelhafte Gabe entdeckt hatte, bevor jemand anderes sie finden konnte. Sie hob Tüte, Ochsenherz, Band und Karte auf und trug es, alles auf Armeslänge von sich fernhaltend, zur anderen Seite des Weges, wo ein dicht mit Brennesseln bewachsener Graben verlief. Sie ließ das ganze Zeug mitten in die Nesseln fallen, so daß es nicht mehr zu sehen war. Vielleicht fand ein Hund oder ein nächtlich umherstreifendes Raubtier das Fleisch und würde es bis zum Morgen beseitigen. Meredith wischte sich sorgfältig die Finger ab und gab sich einen Ruck, um das ekelhafte Bild loszuwerden. In diesem Augenblick hörte sie hinter sich auf dem Kies ein leises Knirschen und wirbelte herum.
Vier oder fünf Meter hinter ihr stand ein Mann, der sie beobachtete. In der Stille dieses ländlichen Weges einer Gestalt wie der seinen zu begegnen, hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Er war mittelgroß, schlank und blaß, und er konnte ebenso dreißig wie fünfzig sein, doch vermutlich lag sein Alter irgendwo dazwischen. Er trug einen dunklen Anzug und sah beinahe übertrieben sauber und ordentlich aus, so daß sie ihn eine verrückte Sekunde lang für einen Beerdigungsunternehmer hielt, der den Friedhof im Hinblick auf eine spätere berufliche Visite inspizieren kam.
»Ziemlich scheußlich«, sagte er. Sein Tonfall klang amerikanisch, sein Akzent war jedoch sehr gepflegt, er artikulierte die Worte deutlich und auf eine leicht altmodische, gekünstelte Art. Er schien nicht schockiert; was er sagte, klang nur mißbilligend.
Meredith erwiderte
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