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Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman

Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman

Titel: Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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hat, verliert man sich schließlich aus den Augen. Merediths Eltern lebten nicht mehr, und sie hatte weder Bruder noch Schwester. Sie korrespondierte, mit zeitweiligen Unterbrechungen, mit zwei alten Schulfreundinnen – eine von ihnen hatte letzte Weihnachten keinen Brief geschrieben, nur eine Karte geschickt, und zum nächsten Weihnachtsfest würde wahrscheinlich auch die ausbleiben –, aber beide waren verheiratet, hatten sich um eine immer größer werdende Kinderschar zu kümmern und nahmen ganz richtig an, daß Meredith an einer minutiösen Schilderung ihres Familienalltags nicht interessiert sein würde. Ihre einzige nahe Verwandte, eine Cousine, war zugleich die einzige, die nicht unter diese Kategorie fiel. Eve Owens führte ein abwechslungsreiches Leben, in dem die häuslichen Dinge stets eine geringere Rolle spielten als die Ereignisse in dem Bereich, den sie »das Busineß« nannte. Sie beide schafften es, in Verbindung zu bleiben. Gerade noch. Ob es gut war, war eine andere Sache.
    Heute war ein Brief eingetroffen, der Meredith mit Freude, aber auch mit Unbehagen erfüllte. Neuigkeiten von Eve zu erfahren brachte sie immer etwas durcheinander. Sie rührten alte, halb versunkene Erinnerungen wieder auf, die man am besten ruhen lassen sollte. Toby Smythe, der Vizekonsul, der die private Post immer als erster durchsah, hatte ihn mit einem bedeutsamen »Hier, der ist offenbar für Sie!« zu Meredith hineingebracht, was daran lag, daß Eve unbedacht ihren Namen und ihre Adresse auf die Rückseite des Couverts geschrieben und Toby beides gelesen hatte. Neugierige Fragen brannten ihm auf den Lippen, doch der stählerne Blick aus Merediths Augen hinderte ihn daran, sie zu stellen – vorläufig. Sie hatte den Brief mit einem knappen »danke« entgegengenommen und ihn auch nicht geöffnet, nachdem Toby sich widerwillig verzogen hatte. Sie legte ihn auf ihren Schreibtisch und betrachtete ihn eine Weile, bevor sie ihn, noch immer ungeöffnet, hastig in die Tasche stopfte. Als sie jetzt nach ihrem Schlüssel suchte, brachte sich der Brief, als ihre Finger ein knisterndes, steifes Etwas streiften, wieder in Erinnerung.
    »Du wartest noch ein bißchen«, sagte Meredith lautlos zu dem Brief. Sie schloß auf und betrat die Wohnung. Marija war selbst nicht mehr da, hatte aber den Geruch von Bohnerwachs zurückgelassen. Meredith ließ die Tasche fallen, hängte den Mantel auf und ging in die Küche, um den Kessel aufzusetzen. Wie für Wohnungen aus dieser Epoche typisch, war jeder der Wohnräume riesig, die Küche hingegen eine winzige Kombüse mit Marmorfußboden, wo die Köchin, kaum imstande, sich umzudrehen, geschwitzt hatte, während die Familie in dem weiträumigen Salon saß und sich von einem Ende zum anderen nur schreiend verständigen konnte. Meredith ließ sich Zeit, trödelte herum und strich sich ein Erdnußbuttersandwich, das sie gar nicht wollte. Endlich trug sie Brief, Tee und Sandwich in das geräumige Wohnzimmer und stellte das Tablett auf ein modernes, protziges hölzernes Möbelstück, das den offiziellen Stellen wohl als angemessene Investition erschienen war. Der Augenblick, den sie so lange hinausgeschoben hatte, war da. Sie setzte sich in den letzten Glanz der Abendsonne, musterte den glatten elfenbeinfarbenen Umschlag mit einem mißtrauischen Blick und machte ihn auf.
    Kein Wunder, daß er so steif war. Er enthielt einen Brief und eine Karte. Die Karte war, wie sich bald herausstellte, eine geschmackvoll gravierte Hochzeitseinladung. Einen Moment dachte Meredith, Eve wolle sich kopfüber in die vierte Ehe stürzen, doch bei einem schnellen Überfliegen der Karte sah sie, daß Sara, Eves Tochter und Merediths Patenkind, die Braut war.
    Von neuem rief ihr aufwallendes schlechtes Gewissen die ferne Erinnerung an eine kalte Kirche und ein wimmerndes Baby in ihr wach. Vor ihrem inneren Auge erschien Eve, jung, hübsch und auf eine bezaubernde Weise mütterlich. Neben ihr stand Mike, der stolze Vater – er war ja so stolz auf seine winzige Tochter gewesen. Es hatte, außer Meredith, noch zwei weitere Paten gegeben, doch ihre Namen hatte sie vergessen. Sie war eine sehr junge Patin gewesen, und das Ereignis hatte schwer auf ihren Schultern gelastet. Sie hatte eine furchtbare Verantwortung gespürt. Und das Gefühl einer Schuld hatte an ihr gezehrt – einer Schuld, die sie dazu trieb, Eve, die sie in Wirklichkeit doch sehr liebte, hassen zu wollen. Sie war in jenem ganz besonderen Fegefeuer der Jugend

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