Mord mit kleinen Fehlern
Bennie. »Du musst auf alles gefasst sein. Wie jede gute Prozessanwältin musst du während des Prozesses die Augen offen halten und rasch deine Strategie ändern. Du schaffst das. In den vergangenen zwei Tagen hast du das ja schon unter Beweis gestellt. Nur einmal hat dich dein Urteilsvermögen im Stich gelassen.«
»Matt«, kam Anne Bennie zuvor.
Alle Blicke richteten sich auf Anne, drei intelligente Augenpaare mit verschiedenen Schminkgraden. Marys Blick war voller Verständnis, der von Judy leicht amüsiert. Aber Bennies Blick war von einer hellblauen Deutlichkeit, unter der Anne zusammenzuckte. »Ich hoffe, du kannst es dir verkneifen, dich heute Nacht mit ihm zu treffen.«
O nein. Jetzt kam es darauf an. Matt hatte zwei Nachrichten auf ihrem Handy hinterlassen und sie gebeten, die Nacht bei ihm zu verbringen. Einen Anruf hatte sie schon erwidert und ihn gebeten, Beth vor Kevin zu warnen. Sie würde nichts lieber tun, als in sein Bett zu krabbeln, sich in seine langen Arme zu schmiegen und sich sicher und beschützt zu fühlen. Könnte sie diese Gefühle vor den anderen eingestehen? Ging es die anderen überhaupt etwas an? Über Nacht hatte sie sowohl Freundinnen als auch einen festen Freund. Mentale Notiz: Sobald man erstmal ein Privatleben hat, wird das Leben echt hart.
»Ich treffe mich heute Nacht nicht mit ihm«, erklärte Anne. Es war richtig, es so zu tun. Beziehungsweise es nicht zu tun. »Ich bin lernfähig. Noch grün hinter den Ohren, aber lernfähig.«
Bennie funkelte sie an. »Eine hervorragende Entscheidung. Der Ausschluss aus der Anwaltschaft konnte gerade noch mal abgebogen werden. Du lernst wirklich dazu, Kleine.«
Anne verbeugte sich. »Aber wo soll ich die Nacht verbringen? Bei dir kann ich nicht bleiben, Bennie. Ich muss Mel aus deinem Haus schaffen, ehe deine Nase explodiert. Vermutlich könnte ich in einem Hotel absteigen.«
»Das wäre nicht sicher.« Mary erhob sich voller Tatendrang aus ihrem Sessel. »Ich weiß ein großartiges Versteck. Unser sicheres Haus!«
Bennie strahlte. »Eine grandiose Idee! Warum ist mir das nicht eingefallen ?«
Anne war verwirrt. »Wohin gehen wir? Was für ein sicheres Haus ?«
»Das wirst du schon noch sehen«, sagte Mary. »Aber wir können nicht in dieser Aufmachung dorthin. Man würde uns umbringen.«
Und das soll sicher sein?, dachte Anne.
24
Es war schon dunkel, als Anne und Mary das rechteckige Reihenhaus irgendwo in dem Labyrinth aus Ziegelhäusern in South Philadelphia erreichten. Sie öffneten die Fliegengittertür mit dem großen D in Laubsägearbeit, und Vita und Mariano »Matty« DiNunzio sammelten sich um sie, gurrten wie ein Paar alter Großstadttauben. Anne hatte kaum Gelegenheit, die Kopierpapierschachtel, in der sich Mel befand, vor der durchgesessenen Couch abzustellen. Auf dem vorderen Fenstersims stand eine vergilbte Plastikfigur der Jungfrau Maria, die zwischen zwei winzigen, gekreuzten Flaggen, einer amerikanischen und einer italienischen, die Straße beobachtete.
»Kommt herein, kommt herein!«, rief Marys Vater. Er packte Mary, umarmte sie wie ein Papa-Bär und schaukelte sie hin und her. »Ach, wie ich mein kleines Mädchen liebe!« Er war klein, kahl, über siebzig und trug ein weißes T-Shirt, dunkle Bermudashorts und einen schwarzen Gürtel, der überflüssig war, aber dafür zu seinen Slippern passte. Während er Mary im Arm hielt, lächelte er vor Freude, und seine braunen Augen hinter der Nickelbrille schmolzen wie Hershey-Schokolade. »Unser Baby ist wieder zu Hause! Unser Mädchen! Schau, Vita, unser Baby, sie ist zu Hause!«
Marys winzige Mutter hatte sich um Anne gewickelt und streichelte sie mit einer papierdünnen Hand, die schwach nach Zwiebeln roch. »Du sein Anna? Ch e belissima ! So ein hübsches Mädchen! Noch hübscher als auf Foto! « Mrs. DiNunzio war ungefähr im selben Alter wie ihr Mann. »Madonna mia , sie das Gesicht von einem Engel haben, Matty! Sieh sie dir an! Das Gesicht von einem Engel!«
»Wau. Meine Güte. Danke.« Annes Laune hob sich umgehend, neue Energie wallte in ihr auf, und sie musste einfach dauernd lächeln. Sie liebte sogar ihren neuen Namen. Es war großartig, wenn die Leute zu feiern anfingen, nur weil man zur Tür hereinkam. Anne hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt, etwa seit 28 Jahren nicht. Mentale Notiz: Ich möchte Italienerin werden.
»Sie sein eine solche Schönheit, es sein schon fast eine Sünde! Ein Gottessegen!« Hinter ihrer dicken
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